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Die Verfuehrerin

Titel: Die Verfuehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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bis Chris das nach einigen Minuten nicht mehr ertragen konnte. Sie legte Teller und Bestecke aus der Hand, wandte sich der Straße zu und begann zu Fuß in die Stadt zurückzuwandern. Sie kümmerte sich nicht um Reds Einspänner oder um irgend etwas sonst.
    Es waren etliche Meilen bis zur Stadt zurückzulegen, doch Chris schüttelte jedesmal den Kopf, wenn die Leute mit ihren Kutschen oder Fuhrwerken neben ihr hielten und sie mitnehmen wollten.
    Als sie schließlich in ihrem Hotel anlangte, sahen die Leute sie dort auf eine Weise an, daß sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauflief, in den Raum stürmte und die Tür hinter sich zuwarf. Sie schämte sich so sehr, daß sie ins Bett kriechen, die Decken über den Kopf ziehen und nie mehr aufstehen wollte. In den letzten beiden Tagen war sie in der Stadt herumstolziert und hatte durchblicken lassen, daß sie alle Narren seien, weil sie einen Mann falsch einschätzten, der fast sein ganzes Leben lang in ihrer Mitte gelebt hatte. Sie hatte die Zuneigung, die sie sich bei ihren Lesern als Nola Dallas erworben hatte, dazu benützt, ihnen mitzuteilen, daß sie viel weniger über diesen Mann wüßten als sie, die nur eine Woche mit ihm zusammengewesen war.
    Langsam begann Chris sich auszukleiden und das Kleid wegzuhängen, das Red ihr geliehen hatte.
    Wie verblendet war ich, dachte sie, daß ich glaubte, ich würde ihn besser kennen als sie. Und wie eingebildet, zu glauben, ich könne einen Mann ändern, der sich für ein Leben der Gewalt und Gesetzlosigkeit entschieden hat. Wie recht mein Vater hatte, als er mich mit Männern der gleichen sozialen Schicht zusammenbrachte- Männern, die ich verstehen konnte, und nicht solchen, die zu einem Picknick gingen und Menschen niederschossen, die nicht derselben Meinung waren wie sie.
    Sie schnürte ihre Sachen zu einem kleinen Bündel, zog ihr Reitkleid wieder an und brachte die beiden geliehenen Kleider zum Portier hinunter. Sie sah die Veränderung in seinen Augen. Er blickte sie nicht mehr mit dem Interesse an, das eine junge Frau in ihm weckte, die für eine bekannte Zeitung in der Großstadt arbeitete. Jetzt war sie für ihn nur noch eine von vielen, die auf einen billigen Vagabunden hereingefallen waren.
    Sie ignorierte die anderen Frauen in der Lobby, die sie neugierig beäugten und nur darauf warteten, daß sie wieder nach oben ging, damit sie den anderen erzählen konnten, was bei dem Picknick geschehen war.
    »Miss«, sagte ein junger Mann hinter ihr, »ich habe eine Botschaft für Sie.«
    Mit niedergeschlagenen Augen nahm Chris das Stück Papier entgegen, zerknüllte es in der Hand und ging damit zurück in ihr Zimmer. Sie setzte sich aufs Bett und dachte eine Weile nach. Sie kam zu dem Schluß, daß sie ihm einen letzten Besuch schuldete, um sich von ihm zu verabschieden und ihm zu sagen, sie würde zu ihrem Vater zurückkehren und dafür sorgen, daß er seine Begnadigung bekam.
    Sie schrieb ein Billett für Asher, in dem sie ihm mitteilte, daß sie morgen früh ihre Reise fortzusetzen gedenke.
    Mit erhobenem Kinn ging sie wieder nach unten, übergab dem Portier das Billett für Asher und verließ das Hotel. Als sie sich in die Richtung wandte, wo das Gefängnis lag, folgten ihr alsbald eine Gruppe Neugieriger, von denen sich einige kichernd miteinander unterhielten. Da kommt so ein Mädchen aus der Großstadt hierher und will uns über einen Mann belehren, obwohl wir ihn viel besser kennen als sie, schienen die Leute hinter ihr zu wispern.
    Einmal versperrte ihr ein Mann den Weg, und sie mußte zu ihm hochsehen und ihn mit einem vernichtenden Blick von Kopf bis Fuß betrachten, damit er ihr den Gehsteig wieder freigab. Er spuckte ihr einen dicken Schwall Tabaksaft vor die Füße, der fast auf ihrem Schuh gelandet wäre.
    Wenn die Leute ihr Idol stürzen sehen, zu dem sie sich vorher öffentlich bekannt haben, können sie sehr, sehr böse werden.
    »Kann ich Ihren Gefangenen besuchen?« fragte sie den Deputy, der hinter dem Schreibtisch saß.
    »Natürlich, Miss Dallas«, sagte der Hilfssheriff und holte den Schlüsselring von einem Nagel an der Wand. »Es tut mir wirklich leid, daß so etwas passieren mußte. Der Sheriff sollte morgen wieder in der Stadt sein und die Angelegenheit bereinigen. Da ist Besuch für Sie«, sagte er zu Tynan, während er die Zelle für Chris aufsperrte.
    Tynan drehte sich rasch um und sah sie mit einem prüfenden und zugleich fragenden Blick an. Ihm schien nicht zu gefallen, was er sah; denn er

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