Die Verfuehrerin
Morgen verlassen wir dieses Haus.«
»Und wenn Asher nicht damit einverstanden ist? Das wären dann zwei Stimmen gegen eine.«
»Prescott kann meinetwegen hierbleiben, aber morgen brechen Sie und ich zur Wohnung Ihres Vaters auf.«
»Nur wir beide?« fragte sie und fuhr mit dem Zeigefinger an dem Whiskyglas entlang.
Er nahm ihr das Glas weg und leerte es mit einem Zug. »Es wird Zeit, daß Sie ins Wohnhaus zurückkehren. Sie können Owen Hamilton ja sagen, daß Sie sich die Hand an einem scharfen Stein verletzt haben und deshalb nicht Weiterarbeiten konnten.«
Chris machte keine Anstalten, zum Haus zurückzukehren. Sie nahm statt dessen ein Plätzchen vom Teller. Sobald sie in seiner Nähe war, wollte sie dort auch bleiben. »Wie geht es Ihrem Rücken?«
»Er verheilt gut dank Pilars behutsamer Pflege. Chris, gehen Sie jetzt ins Haus zurück.«
Sie sah mit traurigen Augen zu ihm auf. »Es war mein Fehler, daß ich Sie allein ließ. Ich hätte mit Ihnen ins Gefängnis gehen sollen.«
»Die Welt ist voller hätte.« Er stand vom Tisch auf. »Ich gehe jetzt zurück an die Arbeit, und ich möchte, daß Sie ins Haus zurückkehren und sich nicht mehr in fremde Angelegenheiten einmischen.«
»Vielleicht sollte ich mich dort mit Asher im Schlafzimmer einschließen.«
»Wenn Ihnen das nicht zu langweilig ist?« erwiderte er, setzte seinen Hut auf und stampfte aus der Hütte.
Da mußte Chris, ob sie wollte oder nicht, ebenfalls den Rückweg zum Haus antreten. Die Sonne hatte sich hinter Wolken versteckt. Regen lag in der Luft.
»Es wird ein Gewitter geben«, sagte Unity, als Chris in die Küche kam. »Was haben Sie denn mit Ihrer Hand gemacht?«
Chris blickte hoch- und direkt in die dunklen, hübschen Augen von Pilar hinein.
»Ein Schnitt«, brachte Chris nach einer Weile über die Lippen. Kein Wunder, daß Ty diese Frau mochte. Sie war wirklich wunderschön.
»Möchten Sie vielleicht etwas Kaltes trinken?« fragte Pilar mit sanfter Stimme. »Wir haben uns eben einen Kräutertee gemacht. Er schmeckt recht gut.«
»Nein«, antwortete Chris und war gar nicht glücklich, daß diese Frau so nett zu ihr war.
»Sie sehen ein bißchen blaß aus«, sagte Unity. »Ich habe zu Mr. Owen gesagt, daß er Sie nicht in der prallen Sonne arbeiten lassen sollte. Sie sind auch zu schmächtig für die Arbeit im Freien.«
Chris hatte keine Ahnung, warum Sonne einer grazilen Figur mehr schaden konnte als einer üppigen, aber solche Bemerkungen hatte sie sich ihr Leben lang anhören müssen. »Ja, ich würde doch gerne etwas trinken.«
»Pilar hat Plätzchen gebacken. Nehmen sie sich welche davon.«
»Nein, danke, ich habe bereits welche gegessen«, sagte Chris, ohne erst nachzudenken, und blickte dann Pilar an. Sie sah, daß diese ihre Bemerkung richtig interpretiert hatte. »Ich werde mich ein bißchen hinlegen. Vielleicht hat der Blutverlust mich ein wenig schwindlig gemacht.«
Chris verließ die Küche und war gerade auf dem Weg nach oben, als Owen sie anrief.
»Diana, könntest du einen Moment zu mir hereinkommen? Da ist jemand, den ich dir vorstellen möchte«, rief Owen durch die offenstehende Salontür.
Chris wußte, daß es sich um den Besucher handeln mußte, den sie vor einer Stunde oben im Büro hatte sprechen hören, und sie wollte diese Person auch gern kennenlernen- aber sobald sie ihn zu Gesicht bekam, stand sie ganz still und konnte sich nicht mehr von der Stelle rühren. Nicht, daß der Mann häßlich gewesen wäre oder in irgendeiner sichtbaren Weise abstoßend, aber sie spürte sofort, daß dieser Mann böse war. Er war großgewachsen und brünett, und sein Gesicht mußte vor Jahren sogar einmal schön gewesen sein. Doch irgendwann hatte er sich dann das Nasenbein gebrochen, und eine Messernarbe lief mitten durch eine Braue. Trotz dieser Entstellung war er immer noch ein gutaussehender Mann- doch Chris hätte sich geweigert, mit ihm allein in einem Zimmer zu bleiben.
»Diana, nun sei nicht so schüchtern«, sagte Owen neben ihr. »Das ist ein Freund von mir, Mr. Beynard Dysan. Er wird eine Weile bei uns wohnen.«
»An... angenehm!« brachte Chris schließlich mit einer Flüsterstimme über die Lippen und reichte dem Mann die Hand, obwohl sie diese lieber auf dem Rücken versteckt hätte.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Owen hat mir von dem unglücklichen Tod Ihres Vater erzählt. Mein Beileid.«
»Ja, danke«, murmelte sie. »Ich habe mich heute morgen an der Hand verletzt«, sagte sie dann und
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