Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
geht es Mr. Caryll?«, fragte er.
Alexander überlegte, ob er Wycherley korrigieren und ihm sagen sollte, dass er Caryll seit drei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Er konnte sich kaum überwinden, den alten Mann anzublicken, vor Entsetzen über dessen sichtbar fortgeschrittenen Verfall. Noch vor ein paar Jahren war er imponierend gewesen, jetzt war er zur Witzfigur geworden – fast entwürdigend, so in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Wie bitter kurzlebig Ruhm doch war, dachte Alexander.
»Es geht ihm gut«, erwiderte er und fügte hinzu, »er bleibt dieses Jahr auf dem Lande.« Es entstand eine Pause, und Alexander blickte, hilfesuchend die Brauen hebend, zu Jervas hinüber.
Plötzlich aber klärte sich der Nebel der Verwirrung bei Wycherley, und er sagte selbstsicher: »Ich freue mich, dass Sie wieder gesund sind, Mr. Pope. Ich fürchtete schon, Sie könnten nicht teilhaben an den Vergnügungen der Saison. Mr. Tonson sagte mir, dass Ihr Essay upon Critics bald erscheinen wird.« Er war plötzlich völlig verändert gegenüber der Jammergestalt von vor zwei Minuten. Alexander staunte.
»Essay on Criticism , ja. Ich bin sehr froh darüber, zugleich aber besorgt, wie er wohl aufgenommen wird«, sagte Alexander, obwohl er im Moment keinerlei Besorgnis verspürte, sondern nur Erleichterung, dass Wycherley zu einem nahezu normalen Verhalten zurückgefunden hatte.
»Wenn ich das Vergnügen habe, Ihr neues Verswerk zu lesen, Mr. Pope«, erwiderte Wycherley würdevoll, »dann werde ich es über alle Maßen loben.«
Alexander erwiderte mit so viel Ehrerbietung, wie er aufbrachte: »Wenn Sie Vergnügen finden an meinen grünen Versen, Sir«, sagte er, »dann kann es nur das Vergnügen eines Mannes sein, der die ersten Schösslinge und Knospen eines Baumes betrachtet, den er selbst gepflanzt hat. Ihre Komplimente werden mich beschämen.«
»Wenn es Ihnen missfällt, dass ich Sie empfehle, so wird es wenigstens mir gefallen«, kam die gestelzte Antwort. »Bedenken Sie, dass Weihrauch dem Spender süßer duftet als der Gottheit, der er dargeboten wird; denn die schwebt zu weit über ihm, um ihn zu genießen.«
Jervas, der Alexanders Beklommenheit spürte, mischte sich ins Gespräch in der Hoffnung, die Begegnung zu beenden. Er fragte Wycherley, wohin er fahre, und bot ihm an, ihn in seiner Droschke mitzunehmen. Wycherley war gerne einverstanden und erklärte, er wolle jetzt in Will’s Kaffeehaus. Jervas verabschiedete sich von Tom und Harry, und sie brachen auf.
Alexander konnte sich kaum das Lachen verkneifen angesichts der drei so abstrus unterschiedlichen Gestalten, hier zusammengepfercht in einer kleinen Londoner Droschke, alle bemüht, nonchalant zu erscheinen, während ihre ungleichen Körper immer enger aneinandergequetscht wurden. Alexander und Jervas saßen eingezwängt zu beiden Seiten Wycherleys, wie um die sichere Passage des dicken Mannes zu gewährleisten. Und als einzige Person, die, wie Alexander argwöhnte, noch über ein unbehindertes Atmungssystem verfügte, begann denn auch Wycherley die Unterhaltung. »Warum kommt unser Freund John Caryll denn so selten in die Stadt?«, wollte er von Alexander wissen.
»Carylls Familie ist von eher zurückhaltendem Temperament, Sir«, erwiderte er und dachte daran, dass Caryll viel öfter kam, als Wycherley wahrscheinlich wusste. »Sie machen sich nicht viel aus dem Londoner Trubel, und Caryll dächte gar nicht daran, ohne sie herzukommen.«
Wycherley gab ein verächtliches Schnauben von sich, durch das die beiden Männer nur noch fester in ihre Ecken gepresst wurden, und konterte: »Ich glaube, es liegt eher daran, dass sich das Vermögen der Familie immer noch nicht von den dummen Extravaganzen ihres verstorbenen Onkels erholt hat. Caryll kann es sich nicht leisten, in der Stadt zu sein.«
Alexander glaubte zwar, dass diese Vermutung wohl zutraf, aber er hatte nicht die Absicht, Wycherleys Appetit auf Klatsch Vorschub zu leisten, indem er ihm zustimmte. »Ich würde das Unglück des alten Lord Caryll nicht als Extravaganzen beschreiben, Sir«, sagte er mit so fester Stimme, wie es in seiner Position möglich war. »Er wurde wegen der Verschwörung der Papisten unfairerweise eingekerkert, obgleich er nachweislich dabei keine Rolle gespielt hat. Und dann verlor er sein Land wegen eines Mordversuchs, von dem er nicht das Geringste wusste.«
»Nicht das Geringste wusste – welch ein Unsinn! Lord Caryll war ein Jakobit. Das hat er öffentlich bekannt.
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