Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
gelangen. Eine Pelzstola fiel zu Boden, und der Diener der Dame raufte mit einem dreckigen Straßenjungen, der sich darauf stürzte, um sie zu stehlen. Sänftenträger kämpften sich durch die Menge, um ihre Passagiere unter dem Vordach des Gebäudes abzusetzen, und rammten dabei manch einem arglosen Theatergänger die Tragestangen in den Rücken. Unbedacht oder unbekümmert darum, dass dies ein Opernabend war, bog ein Schweinehirte mit seiner Herde in die Straße ein – grunzende, trappelnde Tiere, die mit ihren Flanken an den Gewändern der Damen entlangschmierten und ihnen bei jedem Tritt die Seidenstrümpfe mit Dreckspritzern ruinierten.
An den Eingängen stemmten sich Theaterdiener in scharlachroter Livree – denn es war ja das Queen’s Theatre – gegen die andrängende Masse und verkündeten laut, es dürfe weder Essen noch Trinken mit hineingenommen werden. Direkt neben ihnen jedoch boten Hausierer den Galeriebesuchern faulige Orangen feil, um sie auf die Bühne werfen zu können, wenn die Vorstellung langweilig wurde. Zwei Männer standen vor den Türen und riefen: » Im Theater keine Waffen tragen, die Herren! Alle Degen bitte draußen abgeben!« Aber sie wurden rundweg ignoriert. Mit schrillender Klingel und noch lauterem Geschrei fuhr der bis zum Rand gefüllte Wasserwagen der Feuerwehr vor für den Fall, dass die Beleuchtung während der Vorstellung die Bühne in Brand steckte.
Alexander und Jervas waren mit einer Mietdroschke zum Theater gekommen. Jervas hatte Alexander seinen Ausbruch am Tag zuvor nicht nur verziehen, sondern schien ihn sogar total vergessen zu haben, denn sie gingen einträchtig nebeneinander her und kamen besser miteinander aus als je zuvor seit seiner Ankunft in der Stadt. Gleichzeitig mit ihnen langte auch Richard Steele an, und Alexander begrüßte ihn freudig in der Hoffnung, er sei zum Reden aufgelegt.
»Ich kann die italienische Oper nicht ausstehen«, begann Steele denn auch, während er Alexander die Treppe hinauf zur Herrenloge begleitete. »Warum echauffieren sich die Leute bloß so für einen Abend, bei dem das Verstehen jedenfalls keine Rolle spielt bei ihrem Vergnügen?«
Alexander lachte. Sein Freund war offensichtlich guter Laune. »Dass kein Mensch aus der Sache schlau wird, ist ja gerade die Hauptattraktion einer Oper«, erwiderte er sarkastisch. »Es erspart den Zuhörern jeglichen Zwang. Ob sie nun hingehört haben oder nicht, die Unterhaltung darüber wird hinterher immer die gleiche sein. Das trifft natürlich auf jede öffentliche Veranstaltung zu – aber die italienische Oper, die vollständig aus Unsinn besteht, behagt der modernen Gesellschaft nun mal am allerbesten.«
»Ohne die moderne Gesellschaft gäbe es überhaupt keine Oper«, sagte Steele, legte Alexander seine Hand auf die Schulter und wandte sich zurück, um einem Bekannten weiter unten auf der Treppe zuzuwinken. »Wenn die Adeligen nicht geradezu danach gierten, je eine Guinee zu zahlen, um ihren Putz und Tand im edlen Glanz der Theaterbeleuchtung zur Schau zu stellen, würde dieser Mr. Händel zweifellos immer noch in Deutschland Orgelstunden geben.«
»Wenn Ihnen die Oper so missfällt, Mr. Steele, warum kommen Sie denn dann?«
»Für unsere Leser, Pope, für unsere Leser«, sagte er mit einem Seufzer. »Wir müssen ihnen davon erzählen, damit sie, auch wenn sie gar nicht dabei gewesen sind, hinterher mit überzeugter Stimme mitreden können.«
Alexander hatte sich im Laufe des Tages in Covent Garden eine Ausgabe des Librettos der Oper gekauft und blätterte darin herum, während Steele und er Platz nahmen. Er fragte sich, wo Jervas geblieben war – aber der kannte ja bei solchen Veranstaltungen stets alle und jeden. Wahrscheinlich stand er noch immer unten an der Treppe. »Selbst wenn sie das Werk auf Englisch singen«, erklärte er Steele, »wird es wohl nicht verständlicher sein, denn ich sehe, das englische Libretto ist von Aaron Hill.«
»Na ja, Hill hat nun mal keinerlei Talent, sich verständlich zu machen«, pflichtete Steele ihm bei. »Schade, denn sonst könnte er ganz gut schreiben. Darf ich das Buch mal sehen?« Alexander reichte es ihm, und Steele begann zu lesen.
Ein paar Minuten später lachte er glucksend. »Mr. Hill erklärt uns in seinem Vorwort, er wünsche sich für ein Operndrama, die Schönheit der Musik zu entfalten, zugleich aber ›dem Auge zauberhafte Bilder zu bieten und so zwei Sinne gleichzeitig mit Genuss zu sättigen‹«, schmunzelte er. »Was
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