Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
und er empfand eine prickelnde Anwandlung von Neid. Welch wunderbare Arie die Sirene sang: wie einfach, wie durchaus überraschend – und dennoch bedrohlich in ihrem gleichbleibenden, schonungslosen Rhythmus. Schweren Herzens gestand er sich ein, dass dies besser war, als alles, was er selbst je geschrieben hatte. Dieser Mr. Händel musste ein gescheiter Bursche sein – Deutscher hin oder her.
In ihrer Loge beugte sich Arabella zur Tante der Blounts und sagte: »Ich brauche frische Luft. Ich komme gleich zurück.« Und in der Annahme, sie benötige ein Nachtgeschirr, nickte die und wandte sich wieder der Aufführung zu.
Arabella stand auf, ging aus der Loge und lehnte sich in dem dunklen Korridor gegen die Wand. Wie sollte sie bloß den Rest des Abends durchstehen? Lord Petres Frage hatte eine so wundervolle Erlösung angedeutet, aber hier saß sie nun, eingequetscht zwischen Martha Blount und ihrer Tante, mit nichts in Aussicht als noch mehr Geplauder, noch mehr Umherstehen, noch mehr langweilige Artigkeiten. Er würde mit den Herren fortgehen, sie mit den Damen. Und wiederbegegnen würden sie sich irgendwann in vierzehn Tagen, wieder so gut wie Fremde.
Lord Petre sah, dass alle Herren die Aufführung verfolgten, und verließ leise seinen Platz. Er wusste, das Vernünftigste war, pinkeln zu gehen und dann an seinen Platz zurückzukehren. Aber wie sollte er bloß seine Vorfreude zügeln? Er konnte sich auf nichts konzentrieren. Er betrat einen gewissem Raum gleich neben dem Korridor. Aber er hätte ja wissen können, dass hier eine Menge Männer auf die Nachttöpfe wartete. Nein, hier zwanzig Minuten herumzustehen und zuzusehen, wie die Kerle vor ihm geräuschvoll urinierten, das konnte er nicht ertragen! Also ging er hinaus auf die Straße und öffnete in dem Durchgang neben dem Theater seine Hose. Wahrscheinlich nicht sonderlich kultiviert so etwas, überlegte er, als er wieder nach drinnen ging.
Am Kopf der Treppe blieb er einen Moment stehen, bevor er zur Herrenloge zurückging. Er konnte doch einfach mal zu der Loge gehen, wo Arabella saß, und einen Blick hineinwerfen. Es brauchte ihn ja niemand zu sehen. Er würde nur seinen Kopf durch die Tür stecken und sofort wieder gehen.
Doch da stand sie in dem dunklen Korridor.
»Mylord!«, rief sie, als er auf sie zuging.
»Bell«, sagte er und gab ihr den Kuss, den er zuvor draußen vergessen hatte. Seine Hand lag auf ihrem Nacken, sein Daumen presste sich gegen ihren Unterkiefer. Mit der anderen Hand umfasste er ihre Schulter, sodass sie sich nicht entwinden konnte. Der Kuss war flüchtig; hätten sie in der Öffentlichkeit gestanden, er hätte kaum Aufmerksamkeit erregt, außer vielleicht die Entschlossenheit, mit der er sie hielt.
»Verzeihen Sie mir meine Ungezogenheit von vorhin. Ich komme, meinen Tribut zu entrichten, den ich Ihnen schulde.«
»Ach, ein Versehen, Mylord. Es gab ja so viel, was Sie ablenkte.«
»Es gab nur ein Einziges, was mich ablenkte.«
Sie lächelte.
»Bell, wollen Sie jetzt mit mir kommen?«
Sie erstarrte. Auch jetzt noch konnte sie sich ihm würdevoll entziehen. Niemand brauchte zu wissen, was sie an diesem Abend empfunden hatte – was sie immer empfunden hatte, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Aber sie wusste, sie konnte es nicht.
»Meine Sachen«, stammelte sie, »die sind drinnen … Die Blounts werden …«
Er legte einen Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. »Darum kümmere ich mich«, sagte er und betrat die Loge.
Lord Petre neigte sich zur Tante der Mädchen hinunter und flüsterte: »Ich habe draußen Miss Fermor gefunden. Sie fühlt sich unwohl – matt von der Hitze. Ich werde sie mit meinem Diener nach Hause schicken. Ein Glück, dass ich sie zufällig gesehen habe. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Madam. Nein, danken Sie mir nicht; ich bin wieder zurück, noch bevor der Akt zu Ende ist. Würden Sie mir ihre Sachen geben?«
Teresa, die das Gespräch gehört hatte, beugte sich vor.
»Meine arme Cousine!«, flüsterte sie. »Ich hab mich schon gewundert, weshalb sie noch nicht zurückgekommen ist. Ich werde – ich muss sie begleiten, Mylord, damit sie gut nach Hause kommt.«
Aber ihre Tante legte Teresa eine Hand auf den Arm, als sie aufstehen wollte.
»Du bleibst hier bei mir, meine Liebe. Miss Fermor ist in den sichersten Händen.« Sie blickte Lord Petre mit einem Lächeln an, das er nicht zu deuten wusste. »Sie sind sehr freundlich, Mylord«, sagte sie.
»Es ist mir ein
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