Die Verfuehrung Des Ritters
nach draußen verriet. Aber warum sah alles so Grau in Grau aus? Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
»Mylady?«
Ihre Zofe Mary legte ein Bündel Reisig neben das Kohlenbecken. Feuerholz. Sie mussten im Kamin Feuer machen, denn inzwischen war es kalt genug geworden, um einzuheizen. Sie lächelte.
»Möchtet Ihr, dass ich Euch beim Ankleiden helfe?«
Gwyn schüttelte den Kopf.
»Dann wollt Ihr bestimmt in die Kapelle. Aber Vater Wessen ist nicht da, er ist im Dorf und sieht nach Grania.«
»Ist sie schon wieder krank?«, fragte Gwyn abwesend.
»Ja. Er hat mir sagen lassen, ich solle Euch ausrichten, heute früh sei keine Messe und ...«
»Wo ist er?«
»Vater Wessen?« Mary war verwirrt. »Vergebt, Mylady, aber wie ich bereits sagte ...«
»Nein, ich meine Lord Griffyn.«
»Ach so!« Das junge Mädchen lächelte, während es das Reisig im Kamin aufschichtete.
»Also?«, hakte Gwyn nach. Sie beobachtete missmutig ihre Zofe. Vielleicht war sie in letzter Zeit doch ein wenig zu nachlässig gewesen, und ihre Dienerschaft nutzte diesen Umstand schamlos aus.
»Er ist unterwegs und läuft überall herum, Mylady. Die Männer sind auf den Feldern und auf der Mauer.«
»Auf der Mauer?«
»Ja. Sie reparieren die Mauer, Mylady. Die Befestigungsanlage bringen sie auch wieder in Ordnung. Sie sagen, ein Steinmetz wäre unterwegs hierher, ist das nicht unglaublich?«
Gwyn ließ sich wieder in die Kissen fallen und zog die Felle bis über ihre Brust. Mary beobachtete sie lächelnd.
»Und es regnet.«
Für einen Moment schauten sie sich stumm an, dann sprang Gwyn aus dem Bett, eingehüllt in die Felle, und lief zum Fenster. »Es regnet?«
Maiy nickte eifrig. »Ein richtig feiner Nieselregen ist das, der schön tief in die Erde eindringt.«
»Regen«, hauchte Gwyn andächtig. Sie trat ans Fenster und zog die Felle hinter sich her. Tatsächlich, es regnete. Ein feiner, dichter Nieselregen ging auf die Welt nieder.
Begen. Die Dürre war vorbei.
Sie kleidete sich rasch an und lief nach unten in die große Halle. Mit jedem Schritt wuchs ihre Aufregung, und als sie den Fuß der Wendeltreppe erreichte, wusste sie, warum sie sich so freute. Sie wollte Griffyn sehen. Aber er war nicht in der Halle.
Er musste draußen sein. Im Begen.
Sie lief so rasch aus der Halle, dass der Diener, der ihr Brot und Bier hatte bringen wollen, erstaunt blinzelte und das Tablett zurück in die Küche trug.
Gwyn stieg die Treppe zum Wehrgang hinauf, und nach kurzer Suche fand sie Griffyn auf einem verlassenen Abschnitt des langen Ganges. Er und Alex waren in ein Gespräch vertieft. Er lehnte an einer der Zinnen und hatte die Arme über der Brust verschränkt. Aber er lächelte. Eine Welle der Zuneigung erfasste sie.
Er schaute über Alex' Schulter und sali sie herankommen, dabei sprach er weiter mit seinem Freund. Seine Augen ruhten auf ihr. Als sie die Männer erreichte, machte Griffyn einen Schritt zur Seite, damit Gwyn am Gespräch teilhaben konnte.
»Mylady.«
»Mylord«, murmelte sie. Dann wandte sie sich an Alex und erwiderte dessen Gruß.
»Es regnet«, sagte sie leise. Es klang etwas einfältig, wie sie sich selbst eingestehen musste. Das waren schließlich die ersten Worte, die sie nach der letzten Nacht wechselten. Und dann sagte sie etwas so Dummes!
Aber Griffyn schien davon unbeeindruckt. Ein Mundwinkel hob sich leicht. Und schon verlangsamte sich ihr Weltenlauf. Sie spürte, wie sie errötete.
Der leise Regen wisperte. Gerüche stiegen mit ihm auf: Es roch nach feuchter Erde, nach nassem Gras und Holzfeuern, und sie schmeckte das Salz der See. Gwyn hob ihr Gesicht dem Regen entgegen und ließ ihn ihre Wangen streicheln. Als sie den Kopf wieder senkte, fühlte sie sich seltsam befangen, weil die Männer sie beobachteten.
»Es riecht so gut«, erklärte sie. Die Männer schnupperten pflichtbewusst.
»Es riecht anders als die Normandie bei Regen«, gab Alex schließlich zu.
Griffyn beobachtete sie. »Komm«, sagte er dann. Seine leise Stimme ließ ein völlig überflüssiges Verlangen durch ihren Körper pulsieren. »Sieh dir die Mauern an.«
Sie beugte sich über die Mauer. Auf dieser Seite war sie halb zusammengebrochen, und die Quadersteine lagen, der Witterung ausgesetzt, am Boden verstreut. Ihr Vater hatte zwar das Geld gehabt, aber es hatte ihm an der Zeit für die notwendigen Reparaturen gefehlt. Gwyn hatte weder Zeit noch Geld. Der dazu gehörende Verteidigungsturin ragte sechzig Fuß
Weitere Kostenlose Bücher