Die Verfuehrung Des Ritters
Hals stecken. Herr im Himmel.
Pagan.
Entsetzt schlug eine Hand vor den Mund.
Wer außer ihm würde ihr eine letzte Möglichkeit geben, sich zu ergeben? Eine letzte Möglichkeit, sich ... ihm zu ergeben. Wem sonst? Griffyn Sauvage, der Schatten ihrer Leidenschaft.
Er hatte den Helm abgenommen und sah zu ihr herüber.
Beinahe hätte sie laut aufgelacht, so verrückt war das alles.
Der heilige Judas möge mir gnädig sein, betete sie. Ihr Herz pochte so heftig, dass sie es von den Ohren bis in die Zehen spürte. Sie strich über ihr Kleid, die Hand zitterte.
»Ruft die Männer zurück.«
Fulk fuhr herum und starrte sie an. »Mylady?«
»Ruft sie zurück.« Sie wies auf den einsamen Reiter auf der Hügelkuppe. »Wisst Ihr, wer er ist?«
Er nickte. »Ja. Sauvage.«
Ihr Arm sank herunter. »Ihr kennst ihn also«, sagte sie tonlos. »Ihr kennt Griffyn Sauvage.«
Fulk zuckte mit den Schultern. »Ich habe lange Jahre Eurem Vater gedient, Lady Gwyn. Auch schon vor Eurer Geburt.«
»Dann wisst Ihr, dass es eine Vergangenheit gibt, die unser beider Familien betrifft.«
Er wich ihrem Blick aus. »Ein wenig, ja.«
»Ein wenig«, wiederholte sie. »Verratet mir eins, Fulk«, verlangte sie von ihm. »Wie könnt Ihr glauben, wir könnten standhalten, wenn Griffyn Sauvage und seine Armee auf Everoot zumarschieren?«
Fulk blickte über die Zinnen. Dann zuckte er wieder mit den Schultern. Aber das nervöse Augenblinzeln, das sein Schulterzucken begleitete, verriet ihn. Er wusste, wie es um Everoot stand. Sie würden kämpfen. Und sie würden verlieren.
Doch Gwyn dachte bereits an die Zukunft. Sie würde die Tore öffnen lassen. Das war besser, als Griffyn dazu zu zwingen, die Mauern niederzurennen. Eine offene Feldschlacht würde ihm nur noch mehr Gründe liefern, wie ein Feuersturm in der Burg zu wüten und alles in Besitz zu nehmen. Sie musste verhindern, dass er den Prinzen fand. Deshalb würde sie die Tore öffnen und so tun, als würde sie sich ergeben.
Ich werde die Kapitulation vortäuschen, sagte sie sich. Mich verstellen. Ich mache es nicht wirklich.
Sie würde nicht dem erliegen, dem sie schon einmal erlegen war: weder seiner Leidenschaft noch seiner Freundlichkeit und schon gar nicht diesem Gefühl der Hoffnung, das er in ihr geweckt hatte. War dies nicht das Gewicht ihrer Buße, das sie schließlich in die Knie zwang?
Hatte sie denn geglaubt, es würde einfach werden?
»Ich möchte nicht, dass unsere Männer sinnlos sterben«, erklärte sie Fulk. »Und ich halte es nicht für klug, Sauvage mehr als nötig zu erz...« Sie verstummte. Was denn?
Wie konnte sie ihn noch mehr erzürnen? Er schien sie bereits über alle Maßen hassen. »Ruft sie zurück und lasst die Tore öffnen. Wir ergeben uns.«
Fulk nickte finster. »Ja, Mylady.« Er eilte davon und brüllte seine Befehle.
Gwyn sah ihm nach. Ihr Herz stolperte, ihr Blut strömte eiskalt durch ihren Körper.
Ihr Verstand jedoch schrie immer wieder: Ich habe geglaubt, er sei tot!
Und ihr Herz sang. Er lebt, er lebt, er lebt!
3. KAPITEL
Griffyn ritt mit gezogenem Schwert durch das Tor. Er hielt es lässig in der Rechten, während sein Blick rasch über den Innenhof glitt, in dem sich die Burgbewohner versammelt hatten. Bestimmt waren Marschtill Godwin oder Hamish, der Schmied, auch nach all diesen Jahren noch am Leben.
Dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Er war wie ein kleines aufgeregtes Kind. Nur die Starken überlebten, und vielleicht waren auch sie gestorben. Wie oft musste er sich noch daran erinnern, dass Zuneigung eine gefährliche und sinnlose Gefühlsregung war?
Er blickte zu den bewehrten Zinnen Everoots hinauf, die sich von dem strahlend blauen Himmel dunkel abhoben. Das Sonnenlicht schmerzte fast in den Augen. Zu Hause. Endlich war er wieder zu Hause.
Es war vollkommen still. Schweigende Dorfbewohner und Haushaltsmitglieder drängten sich zusammen und machten ihm Platz, als er durch dieses Spalier aus farbenfroh gekleideten Menschen ritt. Die meisten neigten den Kopf, als er vorbeiritt, einige sanken auf die Knie. Er hörte ihr Flüstern.
»Sauvage...«
»... erinnere mich an seinen Vater ...«
»... eine Legende, damals ...«
»Gott sei gedankt.«
Dutzende Hände streckten sich ihm grüßend entgegen. Leinenkappen wurden von Köpfen gezogen, und die Frauen knicksten ungeschickt. Sie hießen ihn willkommen.
Das sollte eigentlich Balsam für seine Seele sein.
Er trieb Noir die kleine Anhöhe zum inneren Burghof hinauf.
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