Die Verfuehrung Des Ritters
erhaschen.
»Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich will den Schlüssel. Wie viel wollt Ihr dafür?«
»Was wollt Ihr damit?«
Der Tätowierte machte einen Schritt auf den Mann zu und sagte gefährlich leise: »Ich bin bereit, dafür zu bezahlen. Viel zu bezahlen. Das ist alles, was Euch interessieren sollte. Habt Huden Schlüssel?«
Der Mann nickte gelassen. »Ich frage Euch trotzdem noch einmal: Warum wollt Ihr den Schlüssel?«
Sein Gegenüber verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kenne den rechtmäßigen Besitzer. Er will ihn zurückhaben.«
Der Mann schaute auf den prall gefüllten Geldbeutel. »Gut möglich, dass ich von ihm mehr Geld bekomme als von Euch. Hat er Euch hergeschickt?«
Der Tätowierte bewegte sich mit der Eleganz einer Wildkatze. Er schnellte vor, legte eine Hand um den Hals des anderen und stieß ihn gegen die Mauer. »Wo zum Teufel ist der Schlüssel?«
»Ich habe ihn nicht dabei...«
»Ihr habt gesagt, Ihr habt ihn. Und jetzt wollt Ihr mir erzählen, Ihr habt ihn doch nicht?«
Dem Mann mit dem Schlüssel gelang es, sich aus dem Würgegriff des anderen zu befreien. Er riss sich wütend los und keuchte. »Herrgott, ich habe ihn ja, aber nicht hier ...«
»Ihr seid ein Narr.«
Ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, drehte sich der Tätowierte um und verschwand in der Dunkelheit.
Der Mann mit dem Schlüssel rang nach Luft. Er stand allein in der finsteren Gasse.
Rasch schob er eine Hand in seine Tasche, um sich zu vergewissern, dass der kleine eiserne Schlüssel noch dort war, wo er ihn verwahrt hatte. Dann verließ auch er die dunkle Gasse.
Dieser Tätowierte musste verrückt sein. Nichtsdestotrotz würde er noch einmal versuchen, den Schlüssel zu verkaufen. Aber dieses Mal würde er direkt zur Quelle gehen.
2. KAPITEL
Der Tag nach Michaeli, 30. September 1153
Vor der Festung Everoot, genannt das Nest,
Northumbrien, England
Kühle Herbstluft hing über dem Lager. Monatelang war es heiß und trocken gewesen, und selbst mit Anbruch des Erntemonats war die Glut des Sommers nicht abgeklungen. Deshalb ließ diese unerwartete Abkühlung alle umso mehr aufmerken.
Nur Griffyn nahm die Wetteränderung nicht wahr. Er starrte auf die dunklen, mit Türmen gekrönten Verteidigungsanlagen von Everoot.
Sein Zuhause. Nach achtzehn Jahren der Heimatlosigkeit hatte Gott ihn nach Hause geführt. Wenn auch mit einem gebrochenen Herzen.
Noch lagerte er mit einer Streitkraft vor den Mauern seiner eigenen Burg. Er lächelte entschlossen. Das war nicht die Heimkehr, die er sich ausgemalt hatte. Aber er hatte immer gewusst, dass er sich den Weg nach Hause erkämpfen musste.
Die hoch aufragenden Burgmauern sahen genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Und der Wald, der sechs Meilen von hier entfernt begann, lockte ihn heute noch ebenso stark, wie er ihn als Achtjährigen gelockt hatte. Griffyn lehnte sich gegen eine Eiche und beobachtete, wie sich die Abenddämmerung herabsenkte.
Als Dunkelheit das Land einhüllte, kam Alex zu ihm. Er stellte sich neben Griffyn, und gemeinsam schauten sie von dem kleinen Hügel hinüber zur Burg.
Das Dorf, eine Ansammlung dunkler Erhebungen, lag in der Ebene unter ihnen. Im Heerlager brannten hier und da kleine Feuer, aber die Männer mieden die Ilitze der Flammen, sobald sie ihr Essen zubereitet hatten. Die meisten schliefen schon und hoben sich wie verstreut liegende dunkle Bündel vom Boden ab. Auch wenn die unerwartet frische Herbstluft die Nacht ein wenig kühlte, so war es noch immer zu warm, um eng beieinanderzulie-gen - es sei denn, einer der Männer lag mit einer Frau zusammen, die unter seinem gestählten Körper lustvoll stöhnte.
Plötzlich richtete Griffyn sich auf. Eine einsame Gestalt tauchte auf dem Wehrgang der Burg auf und blieb reglos stehen. Aus dem Wald hinter ihnen wehte ein schwacher Wind heran. Das Gewand der Gestalt, die zwischen den Zinnen stand, blähte sich und wogte im Wind.
Dort oben stand eine Frau.
Sie verharrte noch einen Moment, dann machte sie einen Schritt und stolperte gegen den Befestigungswall. Dann richtete sie sich auf und verschwand wieder hinter den Zinnen.
»Sie ist fort«, sagte Alex ruhig.
Griffyn warf ihm einen Blick zu und schwieg. Ja, sie war fort. Vielleicht eine Treppenflucht hinabgeeilt, vielleicht hatte sie sich aber auch in einem Anflug von Verzweiflung von den Zinnen gestürzt. Der Gedanke bereitete ihm keine Freude, denn er hatte sich vorgenommen, dass er selbst sie bestrafen würde.
Er war
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