Die Verfuehrung Des Ritters
Wandteppich nur noch wie ein schlaffes Stück Stoff aus, das zwischen ihr und der tobenden Welt hing.
Als sie wieder in der großen Halle standen und Gwyn die Knappen nach draußen geschickt hatte, damit diese sich um die Pferde kümmerten, war sie in Schweiß gebadet. Sie verschränkte die Hände ineinander, während sie mit Adam am Ende der Halle wartete.
»Ihr habt die Erlaubnis des Königs, so zu verfahren, wie es Euch gegeben scheint«, sagte Adam leise.
Sie nickte.
»Ihr nehmt eine beschwerliche Ehre auf Euch.«
»Ich habe ihm einst mein Wort gegeben. Und Everoot hält sein Wort. Papa hätte diese Bürde auch auf sich genommen.« Sie schluckte schwer. »Und Roger auch.
Mein Bruder Roger war mit Prinz Eustace befreundet. Wenn er der Graf von Everoot wäre, wenn er noch lebte ...« Sie presste die Lippen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen stiegen. »Sie
hätten weit mehr als das getan. Ich kann nicht hinter ihnen zurückstehen.«
»Manch einer würde nicht so handeln wie Ihr«, raunte Adam.
»Manch einer genießt lieber die Früchte der Arbeit anderer und schätzt vor allem, dass er selbst satt zu essen hat«, erwiderte sie fest.
Er fuhr sich über das stoppelige Kinn. »Stimmt. Aber manchmal schmecken wir die Würze erst, nachdem wir die Speise genossen haben. Man sollte sehr vorsichtig sein mit dem, was auf den Teller kommt.«
Erstaunt blickte sie ihn an. »Jetzt sprecht Ihr in Rätseln, Adam von Gloucester.«
Er riss sich zusammen. »Das wollte ich nicht. Seid vorsichtig und passt auf Euch auf, Mylady.«
Sie begleitete ihn in den Burghof. Zwar folgten ihnen einige Blicke, aber niemand schien ernstlich daran interessiert zu sein, was der finstere Ritter mit ihr besprach.
Wenn etwas Wichtiges passiert war, würden sie es früh genug erfahren. Er war nur einer von vielen Boten, die nach Norden eilten, um vom Krieg im Süden Kunde zu bringen oder um Geld zu bitten, damit ein neuer Krieg angezettelt werden konnte.
Mehr als sonst galt in diesen Tagen, dass keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten waren.
Als Adam wieder im Sattel saß und sein unverschämter Diener sein Pferd neben ihn lenkte, hatte man das Torhaus bereits über ihren Aufbruch in Kenntnis gesetzt. Die Tore zu beiden Höfen waren geöffnet und die Zugbrücke heruntergelassen. Gwyn stand auf der Treppe zum Bergfried in der glühend wabernden Hitze. Adam lenkte sein Pferd heran und reichte ihr seine Hand.
Überrascht ergriff sie die Hand und lächelte dem freundlichen, aber dennoch so grimmigen Mann an, der ihr einen so fragwürdigen Schatz gebracht hatte. Er lehnte sich im Sattel zu
ihr herüber, und sie beugte sich zu ihm hinunter. Die Sonne brannte erbarmungslos auf ihren Rücken nieder.
»Seid vorsichtig mit dem, was auf Eurem Teller landet, Mylady.«
Ein Schauder kroch ihr den Rücken hinauf. Adam nickte ihr ein letztes Mal knapp zu, dann ritt er davon. Die beiden Reiter galoppierten unter dem Tor hindurch und verschwanden in einer Staubwolke.
Gwyn richtete sich auf. Sie hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Aber nein, sie war nur benommen von der Hitze, das war alles. Und zum ersten Mal seit zehn Monaten empfand sie so etwas wie einen kleinen Trost: Sie hatte in der letzten Stunde nicht ein einziges Mal an Pagan gedacht.
Eine Stunde Ruhe von den rastlosen, leidenschaftlichen Erinnerungen und den schrecklichen, quälenden Schuldgefühlen, weil sie Entscheidungen getroffen hatte, die sie nie würde rückgängig machen können.
Mit Pagan waren es drei Menschen, die sie getötet hatte.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie sich umwandte und in die Burg zurückging.
Buch 2:
Die Ernte
1. KAPITEL
Der Tag vor Michaeli, 28. September 1153
Nordengland, Ipsile-upon-Tyne
Die beiden Verschwörer trafen sich in einer kleinen Gasse, als der runde Erntemond seinen Zenit schon überschritten hatte. Er warf sein Licht auf die Dächer der Häuser, zwischen denen sich dunkle Schatten gesammelt hatten.
»Wie viel?«, fragte der Verschwörer, der um dieses Treffen gebeten hatte. Er war von schlanker, muskulöser Gestalt und auffallend groß. Seine Gesichtszüge waren nur schwer zu erkennen. Als er in seine Tunika fasste und einen Beutel Münzen hervorzog, wurde eine Tätowierung auf seiner linken Brust sichtbar. Sie war nur klein, wirkte aber überaus lebendig.
»Ihr verschwendet wahrlich keine Zeit«, bemerkte der andere und versuchte, einen Blick in die Augen seines potenziellen Kunden zu
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