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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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der Meinung, dass Tjarka recht und die Wassergewinnung Vorrang hatte. Jeder einzelne Schluck würde ihnen Kraft und den Verwundeten Leben spenden. Also brachen sie den Tagesmarsch ab und machten sich ans Basteln von Taufängern.
    Mit den Pflanzen hatte Tjarka Glück. Unterstützt durch Kinjo fand sie einige, die entweder in ihren Blättern oder auch in ihren Wurzeln noch Wasser enthielten. Andere konnten gepresst und zerrieben werden. Mehr als ein Liter kam alleine schon dadurch zustande, und die zehn Personen delektierten sich an den wenigen lauwarmen Schlucken wie an der größten Köstlichkeit auf Erden.
    In der Nacht lag der Urwald still und tot, lediglich Insekten krabbelten umher und raschelten auf welkem Laub. Ukas schlief und weinte abwechselnd. Alle anderen hielten entweder gleichzeitig Wache oder dösten gleichzeitig. Es war nicht mehr möglich, in dieser Hinsicht irgendetwas zu koordinieren.
    Am Morgen wurden die Taufänger geleert. Tjarka übernahm die Hoheit über die eine gefüllte Feldflasche, die dabei zustande kam. Eine Flasche voll war immerhin besser als nichts, neue Hoffnung keimte in der Gruppe auf.
    Sie marschierten weiter. Immerhin war das Gelände einigermaßen eben. Kletterpartien wie zu Beginn der Expedition wären gleichbedeutend gewesen mit Scheitern.
    Bestar wurde beim Tragen Migals abgelöst. Tegden und Rodraeg hängten Migal zwischen sich, seine Arme über ihren Schultern, seine Beine mit einer morschen Liane untergebunden. Onouk, Tjarka und Kinjo mühten sich währenddessen zu dritt mit Ukas ab, bis Ijugis ihnen humpelnd und fluchend half und es wenigstens dort entscheidend besser voranging. Gegen Mittag brach Jacomer zusammen. Sein Körper glühte im Fieber, aber er kam recht schnell wieder zu sich und bestand darauf, aus eigener Kraft weitergehen zu können. Auch er trank – wie Tegden schon seit geraumer Zeit – seinen eigenen Harn, um den brüllenden Durst zu stillen. Dem Fieber arbeitete dies nicht zuwider, im Gegenteil.
    Kinjo wurde an diesem Tag von Visionen geplagt, von Geistern, die ihn gegen seinen Willen zum ausgelassenen Tanzen aufforderten. Es waren nicht die Geister von Gataten oder Kenekenkelu. Es waren Ahnen aus seinem eigenen, fernen, feuchtigkeitsdurchtränkten Wald, und umso quälender war ihr Locken und Lachen. Er hielt sich am Regenstab fest wie an einer viel zu kurz geratenen Krücke oder fuchtelte damit herum wie mit einem besonders klobigen Zauberstab. Er redete und stritt mit sich selbst. Rodraeg, der sich an Eljazokad und das Zepter Rulkineskars erinnert fühlte, befürchtete, Kinjo sei im Begriff, den Verstand zu verlieren, und lieh ihm seinen Strohhut gegen die sengende Sonne.
    Am liebsten wären sie alle des Nachts marschiert und hätten bei Tage geruht, doch im Dunkeln konnte man im Urwald keinen Schritt tun, ohne zu stolpern und hinzuschlagen. Die Sonne war Feind und Freund zugleich.
    Am Abend sahen sie Spinnenmenschen.
    Die Kenekenkelu rannten erst in einigem Abstand links und rechts von hinten an ihnen vorüber, machten dann kehrt, umrundeten die Gruppe zweimal, dabei Drohrufe, meckerndes Schnattern und schrilles Vogelgeschrei ausstoßend, und zerstreuten sich schließlich in sämtliche Richtungen. Jacomer wurde so schwindelig von diesem geschäftigen Umringtwerden, dass er erneut zu Boden ging. Ijugis zerrte ihn wieder in die Höhe. »Diesmal haben sie mich überrumpelt«, zischte der Anführer des Erdbebens heftig atmend, »aber wenn sie noch einmal auftauchen, mache ich sie alle kalt und saufe ihr Blut.« Jeder glaubte ihm, doch die Kenekenkelu kehrten nicht zurück.
    In der Nacht waren die Zikaden lauter denn je. Das rhythmische Schnarren raubte allen den Schlaf. Onouk ging zu dem liegenden Bestar hinüber und flüsterte: »Wenn wir ihm die Beine nicht abnehmen, wird er an Blutvergiftung sterben.«
    Bestar starrte sie mit trockenen Augen an. »Abnehmen in welcher Höhe?«, fragte er tonlos.
    Â»So weit oben wie möglich. Direkt unterhalb der Schenkelgelenke. Das Fleisch und die Muskeln sind bis auf die Knochen zerfetzt.«
    Â»Wenn wir … diese Trommel erreichen, … bevor er tot ist, kann er noch einen letzten Kampf feiern. Aber ohne Beine – das ist für ihn kein Leben mehr.«
    Â»Soll ich ihn das alles selbst fragen, oder übernimmst du die volle Verantwortung für ihn?«
    Â»Wir sind Brüder. Nicht vom

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