Die Vergangenheit des Regens
ich dich mindestens ebenso oft!«, begehrte Migal auf, grinste aber ebenfalls dabei.
»Na bitte«, fasste Rodraeg zusammen. »Dann haben wir Tjarka, Onouk, mich, Tegden und auch Kinjo, die sich mit dem Tragen von Ukas abwechseln können. Für Ijugis improvisieren wir eine Krücke. Jacomer schafft es auch aus eigener Kraft, nicht wahr, Jacomer?«
»Wird schon gehen.« Der kleine Mann nickte tapfer. Seine Lippen waren von einem gelblichen WeiÃ.
Sie schwärmten aus, um für Ukas eine Tragbahre zu bauen. Hierin tat sich Tjarka besonders hervor. Sie und Jacomer wussten am ehesten, wie man so etwas machte, aber Jacomer war zu schwach zum Materialiensammeln, also kümmerte sich Tjarka um alles. Gerne hätte sie kräftiges Blattwerk zur Verfügung gehabt, aber das war hier drinnen verkümmert. Also musste sie sich mit dem behelfen, was vorhanden war.
Zu fünft hievten sie anschlieÃend Ukas auf die Trage. Der ehemalige Faustfechter fiepte wie ein von seinem Herrchen im Stich gelassener Hund. Doch Ijugis war bei ihm. »Wir bringen dich durch«, sagte er mit knirschenden Zähnen. »Dieser Wald wird nicht dein Grab.«
Dann marschierten sie los. Jeden Sandstrich bei Sonnenlicht wollten sie nutzen, die Nächte kamen schon noch früh und lang genug.
Unterwegs erkundigte sich Rodraeg bei Ijugis, welches Datum heute war. »Ich bin nämlich inzwischen ganz durcheinandergeraten.«
»Warte mal. Wir sind am 16. Nebelmond vom Delphiordorf aus in den Dschungel. Heute ist seitdem der fünfzehnte Tag. Es muss also der 30. und letzte Tag des Nebelmondes sein. Ab morgen herrscht Frostmond, also Winter â aber nicht in diesem Wald.«
»Der 30. Nebelmond also. Der letzte Tag des Herbstes. Der Tag, an dem mir ein Gott auf der Spitze eines Berges vom Schicksal unserer Welten erzählte.«
Der Durst war ein furchtbarer Feind, furchtbarer noch als die Kenekenkelu.
Die Verwundeten litten am meisten. Migal versuchte sich nichts anmerken zu lassen, Jacomer jedoch begann zu delirieren, und Ukas schrie manchmal so laut auf, dass Onouk ihm den Mund zuhalten musste. Ijugis humpelte mit seiner improvisierten Krücke missmutig hinterdrein. In den Verschnaufpausen begann er damit, aus geeigneten jungen Baumstämmen Speere zu schnitzen.
Bestar bewegte sich im äuÃeren Randbereich seiner Kräfte. Noch niemals zuvor hatte er versucht, den beinahe ebenso schweren Migal einen ganzen Tag lang zu tragen. Eine halbe Stunde: kein Problem. Aber zehn Stunden und noch länger?
An Ukasâ Tragbahre wechselten sich Tegden, Rodraeg, Onouk und Tjarka ab. Kinjo wurde geschont, er ging vorneweg, bahnte einen Weg mit einem Langmesser, lauschte dem künstlichen Regenrasseln des Stabes und bestimmte so ihrer aller Richtung.
Die Toten fehlten ihnen. Selke und der Erleuchtete hätten jetzt gut mit Tragen aushelfen können. Timbare hätte ihnen allen ein gröÃeres Gefühl der Sicherheit vermittelt. Und Enenfe hätte sie mit seinen Insektensalben versorgt, denn jetzt wurden Mücken und Schwebwespen, Fliegen und eigenartig platt gedrückte Heuschrecken wieder zudringlicher, machten sich in Schwärmen oder in beherzten Einzelsturzflügen über die Gruppe her. Jacomer wurde mehrmals gestochen, Migal ebenfalls. Der Geruch von Blut schien die Flugtiere anzuziehen.
Rodraeg, Bestar und Tjarka kamen nicht klar damit, dass auch Timbare und der Erleuchtete unbeerdigt geblieben waren. Timbares Stamm hätte sicherlich eine andere Prozedur bevorzugt als jenes geringschätzige Nichts, das Ijugis als Tradition pflegte. In Tjarkas Vorstellung mussten sich Timbare, der Erleuchtete, alle Gataten und alle Kenekenkelu des Schlachtfeldes des Nachts wieder erheben, um eine ewige Ruhe zu suchen, die so einfach nicht zu finden war.
Die Sonne brannte. Die Bäume ringsum buchstabierten Vertrocknung.
Am frühen Nachmittag bereits schlug Tjarka vor, dass sie den Rest des Tages und die gesamte kommende Nacht zur Wassergewinnung nutzen sollten. Vereinzelt gab es Pflanzen mit fleischigen Blättern, die in ihrem Inneren noch Wasser gespeichert hatten, das man trinken konnte. Und man musste in der Nacht aus Stoffen, Ãsten und Steinen trichterförmige Vorrichtungen errichten, mit denen sich Morgentau sammeln lieÃ. »Wenn wir alle mitarbeiten, bekommen wir vielleicht einen ganzen Liter zusammen«, sagte sie. Ijugis lachte höhnisch auf, aber alle anderen waren
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