Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
einen Affenmenschen auf sich zustürmen, der sich, kurz bevor er sie tödlich verwunden konnte, in eine menschengroße Spinne verwandelte. Sie wollte abwehren und sich wegducken, kam zu Fall und schrie.
    Dann fanden sie sich alle wieder.
    Am nächtlichen, sommerlich warmen Ufer der Sandsee, hinter sich die ausgefranste Silhouette und die Geräusche des Urwaldes unter dem mattgrau mondlichen Himmel und nahebei ein winziges, aus nur acht Hütten bestehendes, dunkelblau glosendes Dorf.

2

Die Zusammenkunft der Träumer
    Die dunkelblaue Farbe des Dorfes war keine Illusion der nächtlichen Meeresstimmung. Die Hütten waren wirklich blau angestrichen und gemahnten im Mondlicht an gestrandete Buckelwale. Die Farbe war zwar schon alt und blätterte hier und dort ab, machte aber dennoch deutlich, dass Rodraegs Vermutung richtig gewesen war: Bruder Attrik war ein Missionarspriesterdorf des Delphiorglaubens.
    Im schwarzschattigen Dschungel schrien Affen, Vögel und andere Nachtlebewesen. Nichts wirkte verdurstet, alles noch intakt. Die Luft war schwül und roch wie ausgeatmet. Eine kleine, dunkelhäutig glänzende Gestalt, die hinter einer Hütte verborgen gewesen war, huschte davon. Kurze Zeit später kam den drei Mammut mitgliedern, die am Rand des Strandes stehen geblieben waren, um sich innerlich zu sammeln und die Eindrücke der unwirklichen Reise zu verarbeiten, der in eine lange dunkelblaue Robe gewandete Dorfvorstand entgegen und stellte sich als Oberpriester Darnock vor. Darnock war weder besonders jung noch besonders alt. Seine dicht beieinanderstehenden Augen musterten die Neuankömmlinge stechend, aber nicht unfreundlich. Seine Handgelenke waren mit springenden Delphinen bemalt.
    Â»Möge Delphior euch in Seine Gunst aufnehmen!«, sagte er mit wohltönender, beinahe singender Stimme. »Wir haben gar kein Schiff gesehen oder gehört. Seid ihr in dieser tiefen Mondesstunde etwa zu Fuß gekommen?«
    Rodraeg wollte das Gespräch nicht mit einer Lüge beginnen. »Wir haben uns beeilt hierherzukommen«, antwortete er deshalb ausweichend. »Man teilte uns mit, dass wir erwartet werden.« Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Rodraeg eine Abneigung dagegen, sich namentlich vorzustellen oder das Wort Mammut auszusprechen. Es war ein sehr seltsames Gefühl, nirgendwo mehr hingehen zu können, selbst nicht in die Abgeschiedenheit eines Sandsee-Urwaldes, ohne befürchten zu müssen, als gesuchter Verbrecher erkannt und überwältigt zu werden.
    Der Oberpriester Darnock musterte Rodraeg prüfend. »Könnt Ihr uns die Namen derer nennen, die Euch erwarten sollen?«
    Â»Timbare und Ijugis. Aber es sind wahrscheinlich noch weitere dabei.«
    Darnock nickte. »Dann ist es also Delphiors Wille. Der Regenwald schreit in den Tagen und findet keine Ruhe in den Nächten. Ihr seid gekommen, um zu heilen und zu helfen. Seid bedankt dafür. Ich führe Euch nun zu den anderen.«
    Darnock ging voran in Richtung auf den Rand des Dschungels. Rodraeg, Tjarka und Bestar folgten ihm. Sie schwitzten alle drei. Die Wärme an der Südküste erschien ihnen unnatürlich, denn ihnen fehlte die behutsame Annäherung einer herkömmlichen Reise. Hier unten schien noch immer der Feuermond zu herrschen, während überall sonst der Nebelmond den Kontinent langsam auf den Winter vorbereitete.
    Zwischen den teilweise recht großen, mit Palmzweigen gedeckten Lehm- und Bambusholzhütten huschten weitere dunkelhäutige Gestalten umher und tuschelten miteinander in einer fremden Sprache. Zwei, drei weibliche Delphiornovizinnen waren ebenfalls zu sehen, weißlich leuchtende, neugierige Gesichter unter blauen Samtkappen, die hinter Bastvorhängen aus ihren kerzenlichtglimmenden Hütten hervorlugten. Die Wege zwischen den Gebäuden waren mit Meeresmuscheln und getrocknetem Seetang begrenzt. Neben den Wegen wuchsen fremdartige Blumen mit fleischigen Blütenblättern. Unterwegs nahm Darnock eine Fackel auf und entzündete sie, sodass das Mammut wie auf einem goldenen Teppich wandelte.
    Vor der Hütte, die dem Urwald am nächsten war, stand eine hagere, leicht krummrückige Gestalt. Als der Priester mit der Fackel und dem Mammut näher kam, schien die Gestalt wie bei einem Zaubertrick zu verschwinden, verschmolz allerdings in Wirklichkeit wohl nur mit dem brodelnd vielschichtigen Hintergrund des Dschungels. Stattdessen wurde der

Weitere Kostenlose Bücher