Die Vergangenheit des Regens
helle Vorhang der Hüttentür beiseitegeschoben, und Timbare und Ijugis traten ins Freie.
Timbare hatte sich kein bisschen verändert. Er war groà und jung und majestätisch, ein dunkler König, der auf Kronen keinen Wert legte; trug jetzt aber â anders als zu Beginn des Jahres in Warchaim â keine Mütze und wärmende Kleidung mehr, sondern eine zweckmäÃige helle und weit geschnittene Kombination aus Hose und Jackenhemd, beides aus robustem, aber luftdurchlässigem Material.
Ijugis dagegen hatte sich einen Bart stehen lassen, aber nicht wie Bestar einen riesenähnlichen Vollbart, sondern ein keckes Kinnbärtchen. Noch immer sahen seine Augen so aus, als drifteten sie eigentlich auseinander, stellten sich aber beim Gespräch auf das Gegenüber unvergleichlich scharf.
Rodraeg fragte sich unwillkürlich, wie sehr er selbst sich verändert hatte. Er hatte an Gewicht verloren im Laufe dieses strapaziösen Jahres, zweifellos. Und er war älter geworden, seine Schläfen grauer und seine Bartstoppeln mit Silber durchwirkt. Ihm war, als hätte er neun Jahre durchlebt in den vergangenen neun Monden.
»Ihr seid nur zu dritt?«, fragte Timbare, während er Rodraeg die Hand zum Gruà reichte.
»Ja. An Bestar Meckin könnt ihr euch wohl beide noch erinnern. Das hier ist Tjarka Winnfess, eine Spurenfinderin aus dem Thostwald. Ihre Erfahrung in Wäldern kann uns sicherlich von Nutzen sein.«
»Der Regenwald ist anders als ein herkömmlicher Wald. Und dieser ist noch fremder.« Timbare hatte denselben herablassenden Tonfall wie damals im Ehernen Habicht . Er wirkte dabei aber nicht auf dumpfe Weise arrogant, sondern vielmehr wie einer, dem es in Fleisch und Blut übergegangen ist, gegen Mehrheiten das Kommando führen zu müssen und dabei immer im Recht zu sein. »Die wenigen Eingeborenen, die hierher geflüchtet sind, nennen ihn den Wald, der das Weinen verlernte .«
»Ich nenne diesen Regenwald den Ohne-Regen-Wald.« Ijugis grinste.
»Aber ich bin verwirrt«, nahm Timbare den unterbrochenen Faden wieder auf. »Ich dachte, ihr habt inzwischen einen Magier in den Reihen des Mammuts .«
»Eljazokad«, bestätigte Rodraeg. »Er ist leider ⦠vor Kurzem ermordet worden. Wir hatten beträchtlichen Ãrger mit einem Mann, der nicht geboren wurde .«
»Das ist schlecht«, stellte Timbare fest. Seine beinahe schwarze Haut glänzte im Fackellicht rötlich. »Wir hofften darauf, wenigstens einen mit aktiv magischen Fähigkeiten in unseren Reihen zu haben. Die Leute von Ijugis sind bedauerlicherweise sämtlich ohne übersinnliche Talente, und mein Freund Kinjo ist allenfalls ein passiver Magier â in der Lage, Visionen zu empfangen. Das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, ist mit einer dermaÃen groÃen magischen Kraft durchtränkt, die das Vorstellungsvermögen herkömmlicher Menschen bei Weitem übersteigt.«
»Ich fürchte, Eljazokad hätte uns auch dann nicht helfen können, wenn er noch am Leben wäre, denn er hatte bei einem unserer Aufträge seine Magie eingebüÃt. Wir werden mit dem auskommen müssen, was wir haben. Also, worum geht es? Was konntet ihr bislang in Erfahrung bringen?« Um nicht noch weiter in eine Rechtfertigungshaltung gedrängt zu werden, unternahm Rodraeg einen Ausfall und spielte den angereisten Spezialisten, der von den Kundschaftern vor Ort über die Sachlage in Kenntnis gesetzt werden muss.
Ijugis übernahm das Erläutern. Er war deutlich heiterer und einnehmender als Timbare. »Wir wissen auch nichts Genaues. Keiner von uns ist schon weiter als ein paar Hundert Schritte dort drinnen« â er deutete beiläufig auf den Urwald hinter sich â »gewesen und hat sich umgeschaut. Aber nach dem, was bislang nach auÃen gedrungen ist, gibt es einen groÃen Bereich â so etwa von den AusmaÃen des Delphior Sees â in der Mitte dieses riesigen Dschungels, in dem es wohl schon seit dem Sonnenmond nicht mehr geregnet haben soll.«
»Wie habt ihr davon erfahren? Wie genau verlief die Weitergabe von Informationen bis hin zu uns?«
Ijugis plauderte weiter: »Timbare und sein Kumpel, der Geisterseher, haben davon etwas mitbekommen in ihrem südwestlichen Regenwald. Hier im südöstlichen gibt es wohl zwei Arten von Eingeborenen. Die einen sind ganz normale kleine Kerle, wie sie auch in
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