Die vergessene Frau
mehr. Sie hatte sich schon vor einiger Zeit damit abgefunden, dass sie wahrscheinlich nie wieder ein Kind empfangen würde. Ihr tat nur Dr. Robertson leid, dem sie diese Scharade aufzwang, bloß weil sie ihm nicht die Wahrheit sagen konnte. Schließlich war er wirklich nett zu ihr gewesen. Der große, schlanke Mann von Anfang sechzig hatte etwas Väterliches. Er war nicht nur ein enger persönlicher Freund von Max, sondern auch ein exzellenter Allgemeinarzt – und ein sehr beliebter. Seine exklusive Praxis in San Francisco war dezent mit geschmackvollen Mahagonimöbeln eingerichtet, und sein Untersuchungszimmer wirkte eher wie das Arbeitszimmer eines Gentlemans. Seit einigen Monaten kannte Franny seine Praxis besser, als ihr lieb war.
»Und was nun?«, fragte sie, da sie sich dazu verpflichtet fühlte.
Dr. Robertson blickte in seine Unterlagen. »Sie probieren es jetzt seit – wie lange – sechs Monaten?«
»Genau.«
»Also, es ist noch entschieden zu früh, sich Sorgen zu machen.« Er lächelte sie aufmunternd an. »Lassen wir uns noch etwas Zeit, und wenn dann immer noch nichts passiert, würde ich ein paar Tests vorschlagen, damit wir feststellen können, ob Sie tatsächlich ein medizinisches Problem an einer Empfängnis hindert.«
Franny nickte fleißig, während er redete, und tat so, als würden sie seine verständnisvollen Plattitüden beruhigen. Aber als sie seine Praxis verließ, hatte sie nicht die Absicht, den nächsten Termin einzuhalten. Dieses Schauspiel konnte sie kein weiteres Mal mitmachen.
Später am Nachmittag spazierte Franny durch die Anlagen rund um Stanhope Castle. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, doch das warme Wetter machte ihr keine Freude. Schreckliche sechs Monate lagen hinter ihr. Sie hatte von Anfang an den Verdacht gehabt, dass sie nur unter Schwierigkeiten ein Kind empfangen konnte. Nachdem sie Cara zur Welt gebracht hatte, hatte sie sich eine so schlimme Infektion zugezogen, dass der Arzt, der sie damals behandelte, sie gewarnt hatte, das könnte sich auf ihre Fruchtbarkeit auswirken. Trotzdem hatte sie zugestimmt, dass sie versuchen sollten, ein Kind zu zeugen, denn ein gemeinsames Kind schien Max wichtiger als alles andere. Ihr graute davor, ihm heute ein weiteres Mal eröffnen zu müssen, dass sie nicht schwanger war. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihm nie gestehen konnte, warum sie ihm keine Kinder schenken konnte. Das machte es umso schwerer, ihm von Cara zu erzählen – wie konnte sie schließlich erwarten, dass er eine uneheliche Tochter in seinem Haus aufnahm, wenn sie ihm zuvor gestehen musste, dass sie ihn mit dieser Tochter um die Chance gebracht hatte, mit ihr eine richtige Familie zu gründen?
Manchmal fragte sich Franny, wie sie eigentlich in diesen Schlamassel geraten war. Indem sie Max nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hatte, hatte sie alles nur noch schlimmer, nur noch komplizierter gemacht. Sie war feige, das stand fest. Mit ihren zahllosen Lügen und Geheimnissen verletzte sie fortwährend genau die zwei Menschen, die ihr ganz besonders am Herzen lagen – ihre Tochter und ihren Ehemann. Aber irgendwie fand sie, sosehr sie sich auch bemühte, keinen Ausweg aus ihrer Zwangslage.
Doch Franny fühlte sich nicht nur deswegen elend. Hinzu kam, dass sie auf Stanhope Castle so schrecklich einsam und abgeschieden war. Sie hatte ein paarmal mit Lloyd telefoniert, doch der hatte keine neuen Filmangebote für sie in Aussicht. So ganz ohne Beschäftigung wusste sie nichts mit ihrer Zeit anzufangen. Und seit sie nicht mehr drehte, hatten sich auch ihre einstigen Freunde von ihr abgewandt. Nur Lily hielt immer noch zu ihr.
Franny hatte ihrer Freundin anvertraut, dass sie gern wieder arbeiten würde.
»Kann Max da nichts arrangieren?«, fragte Lily. »Er kann doch mal mit Lloyd reden?«
Franny hatte das auch schon überlegt. Aber ihr Mann bestand darauf, dass er sich in künstlerische Aspekte nicht einmischte. Sie spürte, wie skeptisch ihre Freundin es aufnahm, als sie ihr das erzählte. Manchmal war Franny selbst nicht so recht überzeugt. Aber wieso sollte Max sie vom Arbeiten abhalten wollen?
Natürlich hatte sie noch Verbindungen nach Hollywood. Als Mrs Stanhope nahm sie an den unausweichlichen Galadinnern und Preisverleihungen teil. Doch ihr war schmerzlich bewusst, dass sie dort einzig und allein als Max’ Ehefrau eingeladen war. Sie selbst war nicht mehr von Bedeutung, und das tat weh. Außerdem hatte sie viel zu viel Zeit totzuschlagen.
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