Die vergessene Frau
Leben zu genießen. Dazu hatte sie bisher kaum Gelegenheit gehabt. Danny verschwendete keinen Gedanken an Recht oder Anstand; er nahm sich einfach, was er wollte und wann er es wollte. Und Cara stellte fest, dass es sich auf diese Weise nicht schlecht leben ließ.
In ihrer neu gewonnen Freizeit traf sie sich mit den Freundinnen von Dannys Geschäftspartnern. Die meisten von ihnen arbeiteten auch nicht und verbrachten ihre Tage auf der King’s Road und der Carnaby Street, wo sie im Biba und in Mary Quant’s Bazaar stöberten und mit vollen Händen das Geld ihrer Männer ausgaben. Cara gesellte sich nur zu gern zu ihnen. Sie liebte die inzwischen modernen Miniröcke, die ihre langen Beine und den schlanken Körper zur Geltung brachten, und besaß bald einen Kleiderschrank voller Anziehsachen und Schuhe: Zu ihren liebsten Stücken gehörte ein hautenges schwarz-weißes Etuikleid, zu dem sie einen weißen Lackregenmantel und flache, kniehohe Stiefel trug. Dass Twiggy, kurzhaarig und androgyn, so beliebt war, stärkte ihr Selbstbewusstsein, und so kopierte sie sklavisch den Mod-Stil ihres Mode-Idols und ging sogar zu Vidal Sassoon, um ihre eigensinnige schwarze Mähne zu einer Kurzhaarfrisur umformen zu lassen, die ihr markantes Gesicht betonte.
Das neue Image legte sie sich nicht nur ihr zuliebe zu. So etwas gehörte sich für Danny Connollys Freundin. Er zog gern in eng geschnittenen italienischen Anzügen durch die Stadt und stellte dabei seine kleine hübsche Freundin zur Schau. Caras einzige Aufgabe war es, gut auszusehen. Sie verbrachten viele Abende in den verschiedenen Nachtclubs, vor allem aber im Eclipse. Anfangs war es Cara unangenehm gewesen, dort aufzutauchen, nachdem sie im Unfrieden ausgeschieden war, doch Danny hatte darauf bestanden.
»Da treffen sich all unsere Freunde. Du kannst dich nicht ewig verstecken«, hatte er ihr erklärt. »Außerdem wird dich niemand dumm anreden, wenn ich bei dir bin.«
Als sie das erste Mal mit ihm zusammen das Eclipse besucht hatte, war sie nervös gewesen, vor allem, als Mel ihnen als Bedienung zugeteilt wurde. Aber wie üblich hatte Danny recht behalten – Caras frühere Freundin hatte sich ausgesprochen höflich gezeigt. Und auch wenn Cara das lockere Geplauder vermisste, das sie mit den übrigen Hostessen verbunden hatte, so sagte sie sich, dass sie diesen Preis eben zahlen musste, wenn sie mit Danny zusammen sein wollte, und sie zweifelte keine Sekunde daran, was ihr wichtiger war.
Cara hatte zwar keinen Job mehr, doch sie tröstete sich mit der Vorstellung, dass sie dennoch kein völlig inhaltsleeres Leben führte. Sie brachte ihre Zeit damit zu, das Apartment neu einrichten zu lassen, es mit klaren Farben und schnittigen Möbeln zu stylen. Manchmal fand sie es schade, dass sie sich nicht konventioneller eingerichtet hatten, klassisch und zurückhaltend, wie es der wunderschönen Architektur des Gebäudes angemessen gewesen wäre. Aber davon hatte Danny nichts hören wollen. »Die Leute sollen wissen, dass ich es geschafft habe, wenn sie hier hereinspazieren.«
Es störte sie immer noch, dass er von »meiner« und nicht von »unserer« Wohnung sprach und immer noch »ich« und nicht »wir« sagte, doch sie versuchte, das auszublenden. Ihm waren Geld und Status in einer Weise wichtig, wie sie es für Cara nie sein konnten. Außerdem verdiente er das Geld, nicht sie.
Manchmal spürte sie Gewissensbisse. Sie musste daran denken, wie stolz sie noch vor zwei Jahren auf ihre Arbeit im Gemüseladen gewesen war, wo sie die Bücher geführt, die Lieferungen entgegengenommen und die Ablage neu sortiert hatte. Jetzt war das Vergnügen ihr einziger Lebenszweck. Aber falls sie tatsächlich einmal das Gewissen plagte, dann brauchte sie sich nur ins Gedächtnis zu rufen, wie schwer sie es jahrelang gehabt hatte – sie hatte etwas Spaß verdient.
Etwa sechs Monate nachdem Cara im Eclipse gekündigt hatte, stieß sie auf den Artikel – einen weiteren Enthüllungsbericht über die goldene Ära Hollywoods. Die Schlagzeile auf dem Titelblatt der Marie Claire war ihr sofort ins Auge gesprungen, und sie hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Natürlich wurde auch ihre Mutter darin erwähnt. Es war eine jener Geschichten, die jedes Mal durchgekaut werden mussten – wie Frances Fitzgerald, die für eine kurze Zeit als kommende Leinwandgöttin gehandelt worden war, sich im Vollrausch zu Tode gefahren hatte. Es wurde auf eine unglückliche Ehe angespielt, etwas von ihrem
Weitere Kostenlose Bücher