Die vergessene Frau
beschränkte sich auf ein paar Häppchen mit warmem Weißwein, aber alle waren ausgelassen, vor allem Cara, die sich immer noch freute, dass ihr Artikel veröffentlicht worden war. Den ganzen Tag waren Kollegen an ihren Schreibtisch gekommen und hatten ihr gratuliert. Es war ein gutes Gefühl, zum Team zu gehören. Fast so gut, wie ihren Namen in der am Nachmittag veröffentlichten Polizeimeldung zu lesen, in der erklärt wurde, dass die Ermittlungen gegen Toby Fairfax wieder aufgenommen würden.
Im Nachhinein hatte sich Cara Gedanken gemacht, ob sie ebenfalls mit einem Verfahren rechnen musste, nachdem sie in ihrem Artikel zugegeben hatte, Drogen gekauft zu haben. Aber Jake hatte ihr versichert, dass die Polizei bei solchen verdeckten Ermittlungen gewöhnlich ein Auge zudrückte, solange der Police Commissioner der Ansicht war, dass der betreffende Reporter im Interesse der Öffentlichkeit gehandelt hatte.
»Schön, dass Ihnen mein Artikel gefallen hat«, sagte Cara und biss in ein Stück Quiche. Desmond hatte sie am Buffet gestellt. Auch nachdem ihr Artikel abgedruckt war, war sie offiziell keine Reporterin, darum hatte sie zusammen mit den anderen Sekretärinnen die Feier vorbereiten müssen. Das hatte sie so auf Trab gehalten, dass sie seit dem Frühstück keinen Bissen mehr gegessen hatte.
Desmond nahm sich eine Handvoll Würstchen und stapelte sie sorgsam auf seinen übervollen Teller. »Ein nettes Buffet haben Sie da zusammengestellt«, urteilte er.
»Was soll ich sagen? Ich bin eine Frau voller verborgener Talente.«
Lachend ging er weiter. Kaum war er verschwunden, da kam Barbara, die Chefsekretärin des Herausgebers, auf sie zu. Sie war für die Feier verantwortlich und schien sich keine Sekunde entspannen zu können.
»Der Wein geht bald aus«, meinte sie besorgt. »Ich glaube, im Kühlschrank steht noch welcher. Könnten Sie so lieb sein und welchen für mich holen?«
»Natürlich.«
Cara nahm sich noch ein Würstchen und ging in die winzige Küche. Gerade als sie vor dem Kühlschrank in die Hocke ging und sechs Flaschen Wein herauszog, hörte sie, wie sich hinter ihr jemand räusperte. Sie drehte sich um und sah Jake in der Tür stehen.
»Ach«, meinte sie. »Was tun Sie denn hier?«
»Ehrlich gesagt suche ich nach Ihnen. Ich habe etwas für Sie.«
»Wirklich? Was denn? Einen Bonus hoffentlich«, meinte sie frech.
»Etwas viel Besseres.« Er zog hinter seinem Rücken ein Geschenk hervor. Es war flach und rechteckig und unbeholfen in Weihnachtspapier verpackt.
Sie nahm es ihm ab, wog es in der Hand und schaute ihn verdutzt an. »Was ist das?«
»Sie könnten es einfach aufmachen und nachsehen.« Er lehnte sich gegen die Resopaltheke und beobachtete sie gespannt.
Sie riss das Geschenkpapier auf und schnappte nach Luft, als sie begriff, was er ihr schenkte: eine vergrößerte und gerahmte Kopie ihres ersten Artikels.
»Bei der ersten Zeitung, in der ich arbeitete, war das Brauch«, erläuterte Jake. »Immer wenn jemand seine erste Reportage veröffentlichte, ließ der Herausgeber sie einrahmen.«
»Irre!« Cara war gerührt. Jetzt begriff sie, warum er sich erkundigt hatte, ob sie heute Abend hier sein würde. »Das hätte ich wirklich nicht erwartet. Vielen, vielen Dank.« Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob das vielleicht unpassend sein könnte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die kratzige Wange. »Das ist wirklich nett von Ihnen.«
Lachend schloss er sie in die Arme. »Lassen Sie es sich nicht zu Kopf steigen. Das soll Sie daran erinnern, dass jeder Ihrer Artikel so gut sein muss.«
»Ach ja?« Sie lehnte sich leicht zurück. »Also, das versteht sich doch von selbst.«
Sie lächelten sich an, und plötzlich war alles anders. Auf einmal war Cara bewusst, wie nahe Jake ihr war. Seine Hand ruhte auf ihrem Rücken, ihre Hüfte berührte seine warmen Schenkel. Sie spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Sie wusste, dass sie nur die Augen schließen und vielleicht den Kopf ein wenig zurücklegen musste … Dann würde er sie küssen.
Jake schluckte schwer.
»Cara«, murmelte er. Seine Hand hob sich langsam, und sie ahnte, dass er ihr gleich das Haar aus dem Gesicht streichen würde. Sie wusste auch, dass es kein Zurück geben würde, wenn sie das zuließ.
Und dann fiel ihr ein anderer Augenblick ein, der Jahre her war, als sie ein anderer Mann ganz genauso angesehen hatte. Und wie hatte das geendet? Erst hatte ihre Mutter sie im Stich
Weitere Kostenlose Bücher