Die vergessene Frau
Infanteriebrigade durch die schwüle Dschungelhitze, als sie auf ein Minenfeld stießen. Er ging als Letzter und wurde von Granatsplittern in Bauch und Gesicht getroffen: eine ernste, aber nicht tödliche Verletzung. Sein Kollege von der BBC hatte weniger Glück.
Nach sechs Monaten hatte er sich halbwegs erholt, doch die Narbe an der linken Wange war ihm ebenso geblieben wie die sporadisch auftauchenden Schmerzen, die von nicht entfernten Metallsplittern rührten. Am liebsten wäre er sofort ins Feld zurückgekehrt, aber die Versicherung der Zeitung weigerte sich, seinen Einsatz abzudecken. Stattdessen fragte ihn der Herausgeber Neil Simmons, ob Jake Chefredakteur beim Chronicle werden wollte.
Erst sträubte sich Jake. Es war ein Traumjob, doch er sagte Jake eigentlich nicht zu. Ehrlich gesagt fehlte ihm das Abenteuer. Aber er kannte auch die Statistiken. Kriegsberichterstatter galten als adrenalinsüchtig; sie waren dafür verrufen, dass sie kaum je ins Zivilleben zurückfanden. Die meisten von ihnen hingen irgendwann an der Flasche. Und so wollte er auf keinen Fall enden.
Darum ließ er sich widerwillig zum Chefredakteur ernennen und stürzte sich sofort kopfüber in die Arbeit. Er konzentrierte seine ganze Rastlosigkeit darauf, die Redaktion zu leiten. Er verlangte von jedem, mit dem er arbeitete, exzellente Ergebnisse; er ertrug es nicht, wenn ein Konkurrenzblatt ihnen eine Story wegschnappte. Sein Motto lautete: Der Chronicle meldet die Nachrichten nicht, er macht sie. Und er forderte von seinen Leuten denselben Ehrgeiz.
Darum freute er sich so, dass er Cara Healey eingestellt hatte.
Dieser Gedankensprung überraschte ihn selbst. Wie kam er plötzlich auf sie? Er nahm noch einen Schluck Kaffee und begann zu grübeln. Wahrscheinlich sah er einen verwandten Geist in ihr. Viele Menschen behaupteten, sie wollten als Journalisten arbeiten, aber nur die wenigsten bewiesen den nötigen Biss, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Auf Außenstehende mochte der Beruf spannend wirken, doch die meisten verloren schnell die Lust daran, wenn sie einmal sechs Stunden auf der Türschwelle eines Politikers ausgeharrt hatten, um ein Zitat zu bekommen.
Cara war da anders. Er hatte schon beim Einstellungsgespräch gespürt, dass sie die Stelle um jeden Preis haben wollte, und sie hatte ihn nicht enttäuscht. Das Mädchen zeigte eine ungestüme Begeisterung, die Jake an seine eigenen Anfangsjahre erinnerte. Er wusste, dass sie es kaum erwarten konnte, ihren ersten Artikel zu veröffentlichen, und er wartete nur darauf, dass sie ihm etwas Umwerfendes lieferte. Er war überzeugt, dass sie das Zeug dazu hatte.
Und möglicherweise empfand er mehr für sie als nur reine Sympathie. Er konnte nicht leugnen, dass er sie auch attraktiv fand. Aber eine Romanze am Arbeitsplatz – das war eine miserable Idee. Er musste Distanz halten, professionell bleiben. Und darin war er geübt.
»Für wen halten Sie sich eigentlich?«, fuhr Jake sie an. »Für Lois Lane?«
Cara hatte mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, aber dass ihr Chefredakteur wütend werden könnte, wäre ihr nicht im Traum eingefallen. Trotzdem hatte sie beobachtet, wie sich sein Blick bei der Lektüre ihres Artikels verdüstert hatte, und begriffen, dass er nicht begeistert war.
»Er gefällt Ihnen nicht?«, fragte sie kleinlaut.
»Darum geht es nicht«, seufzte Jake. Er hatte frisches Material gewollt – nicht dass sie sich in Gefahr brachte. Was für ein idiotisches Unterfangen! Sie war in den Club gegangen, ohne jemanden in ihre Pläne einzuweihen. Noch dazu hatte sie LSD gekauft. Wer weiß, was Toby und seine Kumpane ihr angetan hätten, wenn sie aufgeflogen wäre? Diese Leute verstanden keinen Spaß.
Dennoch bewunderte er sie insgeheim. Genau solche dreisten Coups hatte er früher selbst gelandet. Und er wusste auch, dass er jedem männlichen Reporter gratuliert hätte, wenn er etwas Ähnliches angestellt hätte. In seinem Team wollte er Leute haben, die wie Cara keine Skrupel kannten, loszuziehen und auf eigene Faust zu recherchieren. Er war nur wütend, weil er merkte, dass ihn seine Gefühle beeinflussten, und das durfte er keinesfalls zulassen.
»Der Artikel ist gut«, gab er widerwillig zu.
Cara reckte das Kinn vor. »Wo liegt dann das Problem?«
»Sie hätten mir sagen müssen, was Sie vorhaben. Wenn Sie sich in eine solche Situation begeben, muss ich wissen, wo Sie stecken, damit ich Sie im Auge behalten kann. Auf diese Weise kann ich die
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