Die vergessene Frau
Kavallerie rufen, falls etwas schieflaufen sollte.«
Cara nickte gehorsam, aber insgeheim fand sie es schwer, sich seinen Tadel zu Herzen zu nehmen. Er hatte gesagt, dass es ein guter Artikel war. Das allein zählte.
»Also, glauben Sie, dass Sie ihn drucken?«, fragte sie eifrig.
Jake sah nickend auf den Artikel. »Haben Sie Beweise, dass sich alles so zugetragen hat?«
»Wir haben Fotos. Grant war mit mir zusammen dort und …«
»Grant wusste von Ihrer kleinen Eskapade? Und er hat Sie nicht abgehalten?« Der Chefredakteur schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn ich den erwische …«
»Grant kann nichts dafür«, fiel Cara ihm ins Wort. »Es war allein meine Idee. Wenn er nicht mitgekommen wäre, wäre ich allein losgezogen und hätte mein Glück versucht.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, murmelte Jake vor sich hin.
Cara beschloss, den bissigen Kommentar zu überhören. »Und? Werden Sie ihn drucken?«
Ihre Unbeirrbarkeit hätte Jake um ein Haar ein Lächeln entlockt. »Er muss noch einmal überarbeitet werden. Und die Rechtsabteilung wird ihn prüfen müssen.« Er blieb absichtlich vage. »Aber ich sehe keinen Grund, warum wir ihn nicht abdrucken sollten.«
Cara strahlte ihn an. »Fantastisch!«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »So wollen Sie also arbeiten?«, fragte er. »Als Reporterin?«
»Aber natürlich!«
»Und worüber wollen Sie berichten?«
Diese Frage brachte Cara völlig aus dem Konzept. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. »Ich weiß nicht genau.«
Die Antwort klang selbst in ihren Ohren lahm. Doch Jake nickte nur.
»Also, zuerst einmal müssen Sie ganz realistisch betrachten, worüber jemand wie Sie berichten kann.«
Cara sah ihn empört an. »Jemand wie ich? Was soll das heißen?«
»Eine Frau, meine ich.«
»He!«
»Regen Sie sich nicht gleich auf. Damit werden Sie sich hier abfinden müssen. Und wenn Sie wirklich weiterkommen wollen, werden Sie überlegen müssen, wie Sie das zu Ihrem Vorteil nutzen können.«
Schlagartig hörte Cara ihm wieder zu. »Und wie?«
Er tippte auf ihren Artikel. »Na, zum Beispiel mit solchen Artikeln. Wir haben immer wieder Storys, bei denen wir eine Reporterin brauchen, die für uns verdeckt recherchiert. Wenn Sie das interessiert …«
»Ganz bestimmt!«
»Gut. Also, ich werde das im Kopf behalten, und Sie sollten ebenfalls keine Scheu haben, mich anzusprechen, wenn Sie einen Vorschlag für eine Story haben.«
»Das werde ich.« Sie hatte das Gefühl, dass ihr Gespräch damit beendet war und Jake weiterarbeiten wollte, darum griff sie nach ihrem Notizbuch und stand auf.
»Ach ja, eines noch«, sagte Jake, als sie sich schon umgedreht hatte.
»Was denn?«
»Gute Arbeit, Healey.«
Eine Woche darauf wurde ihr Artikel nach einigen Überarbeitungen veröffentlicht. Er stand auf Seite drei, der Seite für die Hintergrundberichte. Die Schlagzeile lautete schlicht Drogenbaron (auf Caras Vorschlag hin), darunter war zum einen ein Foto von Lord Fairfax zu sehen, der in der vordersten Bank des Oberhauses döste, zum anderen eines von seinem Sohn, der Cara im Middle Earth Drogen zusteckte.
Jake kam vorbei, um ihr zu gratulieren.
»Gefällt es Ihnen?«, fragte er.
»Schon – aber nächstes Mal will ich mein Foto darunter sehen«, scherzte sie.
»Na toll.« Er verdrehte in gespielter Entrüstung die Augen. »Ihr erster Artikel, und schon verwandelt sie sich in eine Primadonna.«
Sie lachte. Damit war der Wortwechsel eigentlich beendet, aber statt zu seinem Schreibtisch zurückzukehren, blieb Jake an ihrem Platz stehen.
»Wollten Sie noch etwas?«, fragte sie.
Er zögerte und meinte dann: »Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie wegen heute Abend Bescheid wissen.«
Für diesen Abend war die Weihnachtsfeier angesetzt, und alle im Büro freuten sich darauf. Cara hatte bisher kaum einen Gedanken daran verschwendet, und es überraschte sie, dass Jake es tat – eigentlich war das nicht seine Art.
»Ja.«
»Und … sind Sie da?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich denke schon.«
»Sehr schön. Dann sehen wir uns später.«
Cara sah ihm nach und rätselte, was in aller Welt das zu bedeuten hatte.
»Gute Arbeit, Healey«, sagte Desmond Haines und schlug Cara auf den Rücken. »Nicht zu fassen, dass Sie den alten Lumpen so kalt erwischt haben.«
Es war Freitagabend, und die Weihnachtsfeier des Chronicle war in vollem Gang. Sie fand in der Redaktion statt – falls es plötzlich etwas Neues geben sollte – und
Weitere Kostenlose Bücher