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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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einfach darauf gehofft?«
    Cara war bewusst, dass sie weniger über Sophie als über sich selbst sprach, so als würde sie dieses Gespräch mit ihrer Mutter führen. Plötzlich brach der über Jahre aufgestaute Groll aus ihr heraus.
    Sie schüttelte angeekelt den Kopf. »Sie haben gesehen, dass Sophie nicht das hübsche kleine Baby war, das Sie sich vorgestellt hatten, und haben sie darum versteckt.«
    Max schloss kurz die Augen. »Das war es nicht. Es hatte nichts mit Sophies Behinderung zu tun.«
    »Was war es dann?«, drängte Cara. »Warum haben Sie Sophie ins Kloster gegeben? Wieso haben Sie Ihr eigenes Enkelkind ins Waisenhaus gesteckt?«
    »Wegen Olivia!«, brach es aus ihm heraus, als wäre er unter dem Ansturm ihrer Fragen eingeknickt. »Weil Olivia sich die Schuld an Sophies Behinderung gab. Sie war schon äußerst labil, bevor all das passierte. Wenn wir das Kind hier behalten hätten, hätte sie das Tag für Tag daran erinnert, was sie getan hatte!«

Kapitel 58
    Stanhope Castle, Dezember 1958
    »Es ist meine Schuld, stimmt’s?« Olivia sah ihre Stiefmutter mit leeren Augen an. »Weil ich getrunken habe. Darum ist Sophie so geworden.«
    Der Arzt war inzwischen weggefahren. Bevor er gegangen war, hatte er Olivia noch eine Spritze gegeben – die sie beruhigen und ihr beim Einschlafen helfen sollte. Nachdem Hilda gerade das Baby versorgte und Max sich in seinem Arbeitszimmer vergraben hatte, hatte Franny angeboten, bei ihrer Stieftochter zu bleiben. Leider schien sich Olivia mit dem, was an diesem Tag vorgefallen war, immer weiter zu quälen.
    »Du darfst dir nicht die Schuld geben«, erklärte Franny ihrer Stieftochter ein weiteres Mal. »Es war eine Steißgeburt. Das hatte nichts mit dir zu tun. Wenn überhaupt sind dein Vater und ich schuld. Hätten wir den Arzt früher geholt, wäre alles anders abgelaufen.«
    »Ich glaube dir nicht.« Olivia begann wieder zu weinen. »Du willst mich nur trösten.«
    »Aber nein.«
    Doch Olivia hörte ihr nicht zu. »Ganz gleich, was du sagst, ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich bin ein schrecklicher, widerwärtiger Mensch.« Sie drehte sich von ihrer Stiefmutter weg und vergrub weinend das Gesicht im Kissen.
    Während der nächsten Tage versuchten abwechselnd Franny, Max und Dr. Robertson, dem jungen Mädchen zu erklären, dass es keine Schuld traf, aber keiner hatte Erfolg – es wollte nichts davon hören.
    Franny wollte das Kind trotzdem behalten, aber Max war dagegen.
    »Olivia macht sich jetzt schon die größten Vorwürfe. Wie soll sie sich fühlen, wenn sie ihr Kind jeden Tag sehen muss? Als wollte es sie immerzu an alles erinnern, was passiert ist?«
    Natürlich hatte er recht. Seit der Geburt war Olivia in eine tiefe Depression gefallen. Sie sprach nicht mehr, sie aß nicht mehr, sie schlief nicht mehr. Die meiste Zeit weinte sie.
    Alle hatten gehofft, dass sich Olivia erholen würde, nachdem das Baby weggebracht und von einem tief verstörten Max und einer weinenden Franny in einer kalten, nebligen Nacht im Waisenhaus der Sisters of Charity abgeliefert worden war. Aber stattdessen schien es ihr danach noch schlechter zu gehen.
    Schließlich bestand Max darauf, sie auf Dr. Robertsons Empfehlung zu einem Spezialisten in einer diskreten Klinik namens Cranfield House zu bringen. Clayton Lorimer, leitender Psychiater dieser besseren Nervenheilanstalt, kam schnell zu einem Urteil.
    »In diesem Fall hilft allein eine Elektroschocktherapie.«
    Max konnte sein Entsetzen nicht verhehlen. »Ist das wirklich notwendig? Es muss doch noch andere Möglichkeiten geben.«
    Der Arzt seufzte. Die Eltern der Patienten waren immer so empfindlich und so schnell bereit, seine Diagnose anzuzweifeln. »Olivia leidet an einer tiefen Depression«, erklärte er dem Geschäftsmann. »Meiner Meinung nach ist die EST die einzige Möglichkeit, sie aus diesem Zustand zu reißen. Andernfalls wäre es möglich, dass sie sich nie erholt.«
    Max sah seine geliebte Tochter an, die mit glasigen Augen ins Leere starrte, und willigte widerstrebend ein.
    Max bestand darauf, während der Behandlung anwesend zu sein. Franny hielt das für keine gute Idee, aber sie begleitete ihn trotzdem, um ihm moralischen Beistand zu leisten. Sie hasste das Cranfield House: die klinisch weißen Böden und Wände, die schrecklichen Schreie und das Lichtflackern, wenn wieder ein Stromstoß verabreicht wurde. Ihrer Meinung nach war das kein Ort für Olivia. Doch Max hielt es für richtig.
    Der Behandlungsraum war

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