Die vergessene Frau
setzte sich dann ebenfalls. Franny hatte noch nie an einem der Tische sitzen dürfen – die Künstler durften sich eigentlich nicht mit den Gästen einlassen. Aber sie versuchte, so zu tun, als wäre das für sie ganz alltäglich. Ein Kellner brachte eine Flasche Dom Perignon und schenkte ihnen zwei Gläser ein.
Es war der erste Champagner in Frannys Leben. Die Blasen stiegen ihr ganz unerwartet in die Nase, und sie musste kurz schlucken, was sie jedoch hinter einem dezenten Husten versteckte. Sie meinte ein leises Lächeln in den Augen des Produzenten zu erkennen, aber falls er ihren Fauxpas bemerkt hatte, ließ er sich nicht darüber aus. Stattdessen lehnte er sich zurück und beobachtete sie mit scharfem professionellem Blick.
»Lassen Sie mich eines sagen«, erklärte er gedehnt. »Ihre Darbietung heute Abend hat mich wirklich tief beeindruckt.«
»Ach ja?« Obwohl Frannys Herz wie rasend hämmerte, gab sie sich möglichst kühl.
»Ja, Sie waren richtig gut da oben; Sie wissen, wie man das Publikum in seinen Bann schlägt. Ich konnte die Augen nicht von Ihnen wenden. Genauso wenig wie jeder andere Mann im Saal.« Ganz kurz entglitt ihm die souveräne Miene, und sie meinte den schwachen Abglanz eines lüsternen Lächelns zu erkennen.
Franny senkte den Blick und gab sich bescheiden. »Es freut mich, dass Ihnen der Song gefallen hat.«
»Nicht nur der Song.« Er rieb sich nachdenklich den Bauch. »Verflucht, ich bin schon ewig in diesem Business, und ich schätze, dass ich inzwischen ein Händchen für junge Talente habe. Und ich schätze außerdem, dass aus Ihnen was Großes werden könnte.«
»Wirklich?« Wieder versuchte Franny sich möglichst lässig zu geben.
»Ganz genau.« Er wartete eine Sekunde ab und ergänzte dann: »Natürlich lässt sich so etwas immer erst sagen, wenn jemand tatsächlich vor einer Kamera gestanden hat.«
»Ich verstehe.«
»Aber ich denke, es wäre ganz lohnend, Sie ein paar Probeaufnahmen machen zu lassen und mal auszuprobieren, ob Sie das Zeug für einen Film haben.« Er sah sie aus schmalen Augen an. »Was halten Sie von meiner Idee?«
Plötzlich verließ Franny ihre einstudierte Nonchalance. Ohne nachzudenken, griff sie nach seiner Hand. Sie musste ihm zeigen, wie viel ihr diese Gelegenheit bedeuten würde. »O Sir, Mr Walker – davon habe ich immer geträumt. Sie haben ja keine Vorstellung. Ich würde alles für ein paar Probeaufnahmen geben. Einfach alles.«
»Alles?« Bei diesem Wort hakte Clifford ein. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, und seine Augen wurden raubtierhaft, als wäre er ein Löwe, der sich aus dem Unterholz an eine Gazelle anschleicht. Seine Finger schlossen sich um Frannys Hand, seine Handfläche drückte heiß und feucht gegen ihre, und sie musste ihre ganze Beherrschung aufbieten, um den Arm nicht zurückzuziehen. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass so schnell dahingesagten Worten selten Taten folgen.«
Er beobachtete sie eindringlich und abschätzend.
»Also, Franny Healey, stellt sich mir folgende Frage: Was genau meinen Sie mit ›alles‹? Wie weit würden Sie wirklich gehen, um sich Ihren Traum zu erfüllen?«
Während der ganzen Fahrt zu Cliffords Hotel war Franny schlecht vor Angst. Ständig dachte sie bei sich, sie würde jeden Moment den Mut aufbringen, ihm zu erklären, dass sie ihre Meinung geändert hatte. Stattdessen fand sie sich unversehens unter den grellen Lichtern über dem Eingang des Savoy wieder, wo er ihr erst aus dem Wagen half und sie dann an den livrierten Türstehern vorbei durch die weitläufige Lobby voller makellos gekleideter Gäste führte. Clifford spürte, dass sie zögerte, und nahm sie am Arm.
»Jetzt komm, Liebling«, sagte er laut, als wären sie ein Paar wie jedes andere.
Während er sie zum Lift führte, hielt sie den Kopf gesenkt und konnte niemandem in die Augen sehen, denn sie war überzeugt, dass alle genau wussten, warum sie hier war. Während sie schweigend im Fahrstuhl nach oben fuhren, versuchte Franny nicht daran zu denken, was sie erwartete, und sich stattdessen auf ihre Umgebung zu konzentrieren.
Das Hotel selbst war wunderschön. Clifford hatte eine Suite für sich alleine. Sie war größer als Annies ganzes Haus, in dem gewöhnlich mindestens zwölf Menschen lebten. Die Suite selbst war ungeheuer elegant eingerichtet, mit gestreiften Tapeten im Regencystil, einem weichen Teppich und massiven Holzmöbeln, die aussahen, als wären sie in monatelanger Kleinarbeit geschnitzt worden.
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