Die vergessene Frau
die diesmal fehlten, hatte sich Cara umso mehr über die Geste ihrer Großmutter gefreut. Es war ein schlichtes Präsent, das zu Theresas enthaltsamem Charakter passte. Obwohl Franny ihrer Mutter regelmäßig Geld schickte, waren alte Gewohnheiten nur schwer abzulegen, und so nahm Theresa davon nur das Nötigste und sparte das meiste für später, wenn Cara größer war.
Zusätzlich zu der Karte und dem Geschenk hatte Theresa, während Cara gestern draußen gespielt hatte, noch einen Kuchen gebacken und ihn heute nach dem Mittagessen aufgetischt. In den vergangenen drei Jahren hatten die beiden gelernt, sich zu mögen. Cara wusste, dass ihre Großmutter nie ein besonders überschwänglicher Mensch werden würde, doch dem Mädchen war inzwischen klar, dass Theresas kleine, beiläufige Aufmerksamkeiten mehr bedeuteten als die großen leeren Gesten seiner Mutter.
Cara täuschte sich. Ihre Mutter dachte sehr wohl an ihren Geburtstag – allerdings erst drei Tage danach. Franny wurde elend zumute, als sie das merkte. Sie schätzte, dass sie das Datum vergessen hatte, weil sie ein paar Szenen der Schwarzen Rose nachgedreht hatten und sie täglich bei den Aufnahmen sein musste. Nach der Rückkehr nach Hollywood hatte sich der Regisseur plötzlich unzufrieden mit dem halb fertigen Film gezeigt, vor allem mit ihrem Auftritt, und der daraus resultierende Stress hatte sie ganz offenkundig abgelenkt.
Nachdem Franny zu beschäftigt war, um selbst einkaufen zu gehen, erstellte sie hastig eine Liste und überließ es ihrer Sekretärin, alles zu besorgen.
»Das ist für meine Nichte in Irland«, erklärte sie.
Dann widmete sie sich, mit halbwegs beruhigtem Gewissen, wieder ihrem Film.
Caras Geburtstagspäckchen traf mit einem Monat Verspätung ein. Sie freute sich so, doch noch etwas geschenkt zu bekommen, dass sie alle gemeinen Gedanken verdrängte, mit denen sie ihre Mutter bedacht hatte, und freudig das Papier aufriss. Im ersten Moment sah sie nur einen weißen und rosafarbenen Berg aus Bändern und Spitzen. Und dann begriff sie – es war ein Prinzessinnenkleid! Etwas so Schönes, dass sie es kaum zu berühren wagte.
Aber als sie das Kleid aus der Verpackung zog, verwandelte sich ihre Begeisterung in Wut. Was hatte sich ihre Mutter dabei gedacht, ihr etwas so Hübsches zu kaufen? In der kargen Gegend rund um ihre Hütte war so ein Kleid absolut unpraktisch. Wann sollte sie es Frannys Meinung nach anziehen?
Cara starrte auf das Kleid und betastete das luxuriöse Material in ihren Händen. Dann riss sie es ohne jede Vorwarnung entzwei, ließ die Nähte aufplatzen und rupfte die Schleifen und Perlen vom Stoff.
Sie war immer noch damit beschäftigt, das Kleid zu zerfetzen, als ihre Großmutter die Treppe heraufgestiegen kam, um nachzusehen, was der Lärm zu bedeuten hatte, und in ihr Zimmer trat.
»Was in Gottes Namen treibst du da?«
Ihre Großmutter klang so entsetzt, dass Cara aufschreckte. Sie hielt in ihrem Zerstörungsakt inne und sah mit tränenüberströmtem Gesicht zu Theresa auf. »Ich hasse sie!«, platzte es aus ihr heraus.
Die ältere Frau sah das zerrissene Geschenkpapier und das zerfetzte Kleid und begriff, was sich abgespielt hatte. Im ersten Moment verdüsterte sich ihr Gesicht, doch dann hellte es sich wieder auf. Sie trat zu Cara und ging mühsam in die Knie, bis sie auf einer Höhe mit ihrer Enkelin war.
»Aber nein, mein Kind«, meinte sie stirnrunzelnd. »So etwas Böses darfst du nicht sagen.« Theresa verstand zwar, warum ihre Enkelin so verzweifelt war, aber sie glaubte fest daran, dass man seinen Eltern Respekt zu erweisen hatte, und das hinderte sie daran, schlecht über Franny zu sprechen.
»Aber ich hasse sie wirklich«, beharrte Cara.
»Nein, das tust du nicht«, widersprach Theresa vernünftig. »Du ärgerst dich nur, weil sie deinen Geburtstag vergessen hat und dein Geschenk erst jetzt angekommen ist und weil es vielleicht nicht das ist, was du dir gewünscht hast. Du liebst deine Mutter, das weißt du sehr gut, und genau so sollte es sein.«
Cara überlegte kurz. »Vielleicht. Aber sie liebt mich nicht.«
Theresa seufzte. »Natürlich liebt sie dich.«
»Warum kommt sie dann nicht zurück?«
Genau diese Frage hatte Theresa immer gefürchtet – da sie darauf keine Antwort wusste. »Du musst deine Mutter verstehen«, versuchte sie vorsichtig zu erklären. »Sie ist nicht wie du oder ich. Sie kann sich nicht mit einem normalen Leben begnügen. Sie will immer mehr. Sie braucht
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