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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Pflegefamilie geholfen.
    Was die Situation der Kriegswaisen erschwerte, wurde in einem der bereits erwähnten frühen Erziehungsratgeber des Ernst Klett Verlags dargestellt. Von einer Fürsorgerin stammt folgender Bericht, der dem kleinen Heft als aufschlussreiche Quelle diente: »Eine Pflegefrau rühmt sich, von dem Pflegegeld für drei Pflegekinder Kücheneinrichtung, Schlafcouch und Zuschuß zum Bau des Eigenheims beschafft zu haben. In anderen Fällen dienten die Pflegekinder als billige Hilfskraft. Als besonders auffallend wird hervorgehoben, daß im Gegensatz zu den früheren Schwierigkeiten, Pflegekinder unterzubringen, diese jetzt geradezu › gefragt‹ seien. Als Ursache solchen Andrangs von Bewerbern um ein Pflegekind wird in erster Linie der Wunsch nach barem Geld, das heute besonders knapp ist, angesehen. In diesem Zusammenhang seien auch die bei Schwarzwaldbauern untergebrachten › Hütekinder‹ erwähnt. Hilfehabenwollen, Ausnutzen des Pflegekindes als Geldquelle oder als Arbeitskraft steht allzu oft im Vordergrund, während doch das Helfenwollen erster Antrieb zur Aufnahme eines Pflegekindes sein sollte.«
    Im Fall des kleinen Horst hielt offenbar »Tante Jutta«, nachdem drei Familien sich als ungeeignet erwiesen hatten, noch so lange die Hand über ihn, bis sich ein vertrauenswürdiges kinderloses Ehepaar fand. Es handelte sich um pfälzische Weinbauern, die im Dorf das größte Gut besaßen. Als Horst bei ihnen einzog, war er zehn Jahre alt und hatte noch keine Schule besucht.
    »Das vierte Schuljahr war mein erstes Schuljahr«, erzählt Omland. »Die Pflegeeltern haben mit mir jeden Abend Rechnen, Lesen und Schreiben geübt, bis ich vor Müdigkeit am Tisch eingeschlafen bin. Aber was ich zweimal gelesen hatte, das konnte ich auswendig!« Schon bald habe ihn der Lehrer wegen seiner korrekten Aussprache gelobt, doch dies hätte die Dorfkinder neidisch gemacht, auch die Tatsache, dass sein Pflegevater ein so großesWeingut besaß; die Jungen hätten ihn nach der Schule eingekreist und verhauen.
    »Ich habe gute Pflegeeltern gehabt, aber sie waren auch sehr streng«, beschreibt Omland seine Situation als Jugendlicher. »Ich durfte nie ausgehen. Aber wenigstens hat der Hufschmied mich in den Männergesangverein mitgenommen. So kam ich einmal in der Woche raus.«
    Auf dem Gut arbeitete er wie ein Erwachsener. Schon früh wurden ihm verantwortungsvolle Aufgaben in der Landwirtschaft übertragen. Er lernte auch die Winzerei, weil er später einmal den Betrieb übernehmen sollte. Aber es kam anders. 1953 starb plötzlich seine Pflegemutter. Daraufhin holte der Hausherr seine Schwester auf den Hof. »Ab dann wurden nur noch Kirchenlieder gesungen«, erinnert sich Omland, »und die Frau hat mich ignoriert.« Auch vonseiten des Pflegevaters war nun keine Rede mehr davon, dass Horst adoptiert werden sollte. Ein Neffe, so wurde ihm mitgeteilt, werde das Gut übernehmen. Da dieser Verwandte kein Interesse an Weinbau und Landwirtschaft zeigte, erhielt Horst von seinem Pflegevater das Angebot: »Du kannst hier als Verwalter arbeiten.« Der Jugendliche lehnte ab.
Neuer Start in der Bundeswehr
    Stattdessen ging er zur Bundeswehr, verpflichtete sich als Zeitsoldat für 15 Jahre. Danach wechselte er in den öffentlichen Dienst und wurde Gerichtsvollzieher. Eigentlich hatte er als Berufssoldat Karriere machen wollen, aber das war wegen seiner Hörbehinderung nicht möglich. »Das war dann die zweite Enttäuschung«, sagt er heute dazu.
    Die Besonderheit seines Wehrpasses ist, dass er ihn 1958 mit »Horst Um land« unterschrieben hatte. Man sieht auch deutlich, dass bei dem handschriftlich eingetragenen Familiennamen nachträglich eine Korrektur vorgenommen wurde: Der Leiter des Kreis-Wehrersatzamtes Celle hatte einfach das »U« in ein »O«verwandelt. – So viel nur zum Umgang mit amtlichen Dokumenten in den Fünfzigerjahren. Es waren eben noch keine geordneten Zeiten, entsprechend provisorisch sahen manche Problemlösungen aus.
    Aber wie war es überhaupt zu der Namensumwandlung gekommen? Genau lässt es sich nicht mehr rekonstruieren. Ungereimtheiten in Herkunftsfragen sind nichts Seltenes bei Kriegswaisen. Fest steht für Horst Omland nur: »Ich wollte heiraten, aber meine Papiere waren nicht in Ordnung.« Das erforderte offenbar Rückfragen beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, so dass dort seine neue Anschrift bekannt wurde. Daraufhin meldete sich eine Frau Cornelius aus Köln: Sie sei die Schwester der

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