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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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auseinander. In kleinen, vorsichtigen Schritten erforschte sie, was mit ihr geschehen war.
    Einmal fragte sie ihre Eltern: »Warum habt ihr mir das angetan?« Antwort: »Ach, es war eben eine schlimme Zeit.« Außerdem sagte sie zu ihrem Vater: »Ich werde nicht zu deiner Beerdigung kommen. Was soll ich trauern . . .« Er ignorierte es.
    Und so schildert Elisa ein typisches Telefonat mit ihrer alten Mutter, die manchmal anruft und sich beschwert, dass sie nicht besucht wird.
    »Mutter: Warum kommst du nicht? Ich bin doch auch für dich da!
    Elisa: Ich spüre das aber nicht. Das muss dir doch auch so gehen. Du hast doch selbst gesagt: Als du mich bekommen hast, da ging alles drunter und drüber . . .
    Mutter: Jaja, aber ihr seid doch alle Gottes Kinder. Warum besuchst du mich nicht?
    Elisa: Weil wir uns nichts zu sagen haben. Es ist schade, du bist eine nette ältere Dame, aber wir haben uns nichts zu sagen.«
    Elisas Abgrenzungen klingen hart. Aber sie sagt, sie muss es tun, um nicht wieder in das alte Familienklima hineinzugeraten.Nicht von einer älteren Dame fühlt sie sich bedroht, sondern von deren Haltung: so zu tun, als sei alles in Ordnung – anstatt zu dem zu stehen, was Elisas Leben vergiftete. Mit ihrem Verschweigen wiederholt die Pfarrerswitwe ihr Verhalten von früher, als sie es versäumte, ihre Kinder zu schützen. Elisa kann sich dem nicht mehr aussetzen, weil es sie in die zerstörerischen Gefühle ihres frühen Traumas zurückschleudern würde. – Ihre Mutter tröstet sich damit, dass sie noch genug andere Kinder habe.
    Aber so einfach, wie es jetzt vielleicht klingen mag, war es für die Tochter nicht, den für sie passenden Abstand zu finden. Natürlich sah sie auch die Hilflosigkeit ihrer Mutter, sah, was sie geprägt hatte, sah auch sie als ein Opfer der Schreckensherrschaft von Vater Reichel. Dazu kam: Elisa war Krankenschwester. Sie nahm die Verpflichtung, Schwächeren zu helfen, sehr ernst. Was sie viele Jahre bedrückte, war die Frage: Was mache ich, wenn die Eltern alt und schwach werden? Muss ich nicht für sie da sein, wenn ihnen etwas passiert?
    Ihre Schwester Mechthild war diese verpflichtenden Gefühle gegenüber den Eltern nie losgeworden, obwohl sie es war, die Hilfe gebraucht hätte. Das Schicksal ihrer Schwester vor Augen, gewann Elisa schließlich die Einstellung: Wer immer gut zu den Eltern sein will, soll das tun – aber ich muss nicht diejenige sein.
    In der Psychotherapie lernte sie zu begreifen, dass ihre plötzlichen Erinnerungslücken durch emotionalen Stress verursacht wurden, immer dann, wenn irgendwelche Auslöser – ein Geruch, ein Satz, eine Farbe – an das alte Trauma rührten, aber ohne dass dies erkennbar mit Erlebnissen ihrer Kindheit verknüpft war. Da sie merkte, dass sie der beruflichen Belastung nicht mehr gewachsen, beschloss sie, nur noch halbtags zu arbeiten.
»Sucht euch Ersatzeltern!«
    Sechs Jahre lang wurde Elisa psychotherapeutisch begleitet. Es war eine Zeit der Aufarbeitung, des Nachreifens und der nachgeholten Bildung. Ihr Selbstwert stieg. Sie machte das Abitur nach und wurde Psychologiestudentin. Einiges von dem, was sie hörte, setzte sie um. Das war manchmal wie eine Ernte. Ein Professor hatte gesagt, es sei gut, sich Wahlverwandte zu suchen. »Er stand im Seminar und riet uns: Guckt euch an, was andere anders machen«, erinnert sich Elisa. »Wenn nötig, sucht euch Ersatzeltern. Da lernt ihr vielleicht die besseren Regeln, wonach ein Zusammenleben funktionieren kann.«
    Es war ein Gedanke, den auch Elisas Tochter aufgriff. Mit 17 Jahren verließ sie die Wohnung ihrer Mutter und zog bei einer befreundeten Lehrerin ein. Viele Jahre gab es auf Wunsch der Tochter überhaupt keinen Kontakt mehr. Seit einiger Zeit kommen Mutter und Tochter, die inzwischen ein Baby hat, wieder zusammen. Sie treffen sich ein- bis zweimal im Jahr. Eine vorsichtige Begegnung. »Es ist, als wäre da zwischen uns nie etwas gewachsen«, gibt die Mutter offen zu. »Gefühlsmäßig ist das schwer zu fassen.« Mit ihrer Jüngsten könne sie sich viel leichter verständigen, vermutlich weil sie während der Pubertät beim Vater geblieben sei.
    Ein weiterer Wendepunkt war für Elisa der Selbstmord ihrer Schwester Mechthild: Ihr Körper reagierte so heftig, wie sie es vorher noch nie erlebt hatte. Beide Schultern wurden steif, es kam zu einem Bandscheibenvorfall. Danach war sie eineinhalb Jahre krankgeschrieben. Ihr Körper schien das Gesundwerden zu verweigern.
    Eine

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