Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
war und dann durch das alles erst schwierig geworden bin, also extrem auf mich selber zurückgezogen,ständig in dieser Not und dieser Sorge: So wie du bist, mag dich niemand, das versteht ja niemand. So eingeigelt, wie du bist. Also das war sehr, sehr lange so in meinem Leben.«
Das habe auch ihre Ehe geprägt, gibt sie zu, und natürlich auch ihren Mann belastet, aber ohne dass ihr dies bewusst gewesen sei. Sie sagt: »Er hat mich mal eine Dostojewski-Figur genannt. Das bin ich aber nicht.«
Obwohl es vielleicht schwerfällt zu glauben: Hildegard Schwarz hat keinerlei Ressentiments gegenüber dem englischen Bomberpiloten. Vielleicht deshalb, weil sie ihre Lebensbilanz insgesamt positiv zu sehen vermag. Sie verfügt über Bildung und eine robuste Gesundheit, ist finanziell gut versorgt, versteht sich bestens mit ihren Kindern und den Enkeln.
Seit Jahrzehnten engagiert sich die Katholikin im christlichjüdischen Dialog. Stets war sie der Meinung: Die Folgen von Auschwitz sind für die Überlebenden weit schwerer zu ertragen gewesen als das, was ihr als Kind zugestoßen ist.
Ihre Geschichte hat mir gezeigt, dass bei Trauerfeiern die Proportionen stimmen müssen. Es reicht zur Information, zu mehr nicht, wenn der Zerstörung einer ganzen Stadt in einem Vortrag gedacht wird. Es bringt auch keine Entlastung, wenn im Rahmen eines Gottesdienstes den Toten ein Requiem von 15 Minuten gewidmet wird. Dies geschah in einer Kölner Kirche aus Anlass der schweren Luftangriffe Ende Juni 1943, der sogenannten »Peter-und-Paul-Nacht«. Obwohl damals in ebendieser Gemeinde die Hälfte der Mitglieder ums Leben gekommen war, führte der Geistliche das Requiem nur mit dürren Worten ein. In seiner Predigt leuchtete er die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten aus. Es ist deprimierend, wenn Kirchenmänner ihren ureigensten Ritualen nichts zutrauen.
Hildegard Schwarz hat Gedenkfeierlichkeiten beschrieben, an denen eine ganze Stadt Anteil nahm. Was könnte angemessener sein, da doch die ganze Stadt zerstört worden war?
Die Störung eines Gottesdienstes
Große öffentliche Trauerveranstaltungen aus Anlass des Bombenkriegs sind aber, wie man weiß, eine heikle Sache. Nicht ausgeschlossen, dass vor der Kirchentür Nazis einem deutschen Opferkult huldigen oder dass antifaschistische Gruppen die Rechtsextremen draußen und die Teilnehmer drinnen gleichermaßen an den Pranger stellen. Gedenkgottesdienste können auch entgleisen. Ein gutes Beispiel dazu fand ich in einem Essay des Hamburger Theologen Fulbert Steffensky.
1993 fanden in Hamburg Gedenkfeiern für die Opfer der sogenannten Aktion Gomorrha statt, der Bombenangriffe 50 Jahre zuvor. Es gab einen Gedenkgottesdienst im Michel mit geladenen Gästen aus Coventry und aus Petersburg, mit dem Bürgermeister und der Bischöfin; vor allem aber mit alten Leuten, die diese Angriffe miterlebt hatten oder Angehörige in jenen Nächten verloren hatten. Während des Gottesdienstes kam es zu einer Störung. Eine Gruppe von jüngeren Leuten drang ein, besetzte die Mikrophone. Sie konnten nach Streit und Gerangel eine Erklärung verlesen: Um diese Toten gäbe es nichts zu trauern, sagten sie. Die Trauer um die Toten der Bombennächte verdränge die eigentliche Trauer, nämlich um die Toten der KZs. Die Konsequenz aus der deutschen Geschichte könne nur lauten: Nie wieder Deutschland.
Die jungen Leute, die den Gedenkgottesdienst störten, waren übrigens Theologiestudenten. Stimmen wie ihre hörte ich nicht, als ich mich auf der Suche nach Gesprächspartnern zum Thema »Öffentliches Gedenken« befand. Aber auffällig war doch, dass kaum jemand, den ich ansprach, tatsächlich die Menschen im Blick hatte, die womöglich heute noch an den Kriegsfolgen leiden. Mitgefühl war selten. Die politischen Bedenken überwogen.
Auf Anhieb konnte ich es nicht begreifen, denn ich saß ja nicht irgendwelchen dumpfen Menschen gegenüber, sondern verantwortungsvollen Trägern unserer Gesellschaft. Heute glaube ich zu wissen, was dahintersteckt. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von mangelnder Opferempathie, also der Schwierigkeit, sich in das Leid eines anderen einzufühlen. Um mich verständlich zu machen, ist an dieser Stelle ein kleiner Exkurs in die sogenannte Täter-Opfer-Forschung nötig.
Es gibt hier die erschreckende Erkenntnis, dass vor allem viele jugendliche Schläger nicht in der Lage sind, zu empfinden, dass sie ihrem Opfer tatsächlich geschadet haben. Selbst wenn
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