Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
saß ein junges Mädchen und trank aus einer gelben Tasse. Sie war schätzungsweise sechzehn Jahre alt und gut gekleidet. Sie sah sich eine Fernsehsendung auf ihrem iPhone an, das sie vor sich hielt. Es klang nach einer amerikanischen Sitcom.
»Wissen Sie, wo hier das Business Center ist?«, fragte Helena.
Das Mädchen blickte auf. »Äh ... ja.« Sie zeigte in den Innenhof. »Gehen Sie auf der anderen Hofseite die Treppe hinunter. Sie können den Säulengang entlanggehen«, sagte sie freundlich.
Hanna kam mit einem Prospekt in der Hand zurück.
»Ich weiß schon, wo es ist, John«, empfing ihn Helena. »Kommen Sie mit.« Die Luftfeuchtigkeit draußen war enorm, als Helena in den Säulengang trat. Hanna las in dem Prospekt und versuchte gleichzeitig, mit ihr Schritt zu halten.
»Hier steht, dass das Hotel mal ein Kloster war und auf dem Fundament eines Inka-Palastes erbaut wurde«, erzählte er und musste wegen des prasselnden Regens lauter sprechen als sonst. »Sie haben die alten Steine wiederverwendet.« Hanna sah sich um, dann blickte er wieder in den Prospekt. »Der Palast hieß Amaru Qhala.« Er kämpfte mit der Aussprache. »Hier steht, dass es einer der prächtigsten Inka-Bauten in Cusco war. Die Spanier haben ihn zerstört und mit den Steinen das Kloster errichtet.«
Auf einem glänzenden Schild neben der Tür stand »Business Center«. Die kleine Rezeption war unbesetzt, und Helena stieg die mit Teppich ausgelegte Treppe hinunter. Der Gang, in dem ebenfalls Teppich lag, war hell erleuchtet, und an den weinroten Wänden hingen große Barockgemälde, die die spanischen Eroberer mit Pferd und Rüstung zeigten. Überraschenderweise war der Gang sehr lang, und Helena schloss daraus, dass sie sich nicht mehr direkt unter dem Hotel befanden. Schließlich sah sie auf der linken Seite das Business Center, obwohl der Gang noch ein gutes Stück weiterführte.
Das Business Center war ein schlichter Raum mit relativ niedriger Decke. Es gab vier mit Trennwänden abgeteilte Arbeitsplätze, die mit einem Holzschreibtisch, einem Ledersessel, Computer und Drucker ausgestattet waren. Es war niemand zu sehen, und Helena trat ein und setzte sich an den hintersten Schreibtisch. Sie zog den Colt aus der Westentasche und legte ihn neben sich. Mit einem Druck auf die Leertaste wurde der Bildschirm hell, und die Website des Hotels erschien, auf der Aufnahmen des Hotels gezeigt wurden.
Helena schob den Cursor auf Google und tippte »Cusco 24. Januar 1908« ein, dann drückte sie die Enter-Taste. Der Bildschirm zeigte die Suchergebnisse an:
El Niño bringt sintflutartige Regenfälle, mindestens 126 Tote in Cusco und Umgebung ...
Ein erstaunlicher Zufall.
Helenas Gedanken überschlugen sich, als sie überlegte, dass es gerade eben erst angefangen hatte zu regnen. Wenn sie in Wilsons Welt geblickt hatte, war das Wetter immer genauso gewesen wie bei ihr. Sie durfte also davon ausgehen, dass es am Abend zu einer schweren Überschwemmung kommen würde.
126 Tote. Das ist eine Menge, dachte sie. Sie drückte erneut die Enter-Taste, doch außer der dramatischen Schlagzeile gab es wenige Informationen.
Sie tippte »Cusco Wetter« ein.
Die Ergebnisse erschienen auf dem Bildschirm: Niederschlagswahrscheinlichkeit: 100%, mit örtlichen Überschwemmungen. Die synoptische Karte des Wetterdienstes zeigte ein Tiefdruckgebiet, das zwischen den Anden und der Pazifikküste festsaß. Sicherlich ein zweiter El Niño. Nachdem sie eine Weile auf den Bildschirm gestarrt hatte, tippte sie »Lucho Gonzales« ein, doch die Suchergebnisse bezogen sich alle auf einen argentinischen Fußballspieler bei Olympic Marseille. Über einen peruanischen Soldaten, der einst in Cusco stationiert war, erschien nichts.
Helena gab noch nicht auf und tippte alle Stichwörter ein, die ihr einfielen.
»Kreuzigung Cusco« – nichts.
»Kreuzigung Cusco Corsell Santillana« – auch nichts.
»Juan Santillana 1908« – ein Dutzend Resultate und Facebook-Seiten füllten den Bildschirm, aber nichts schien mit dem Dieb von Machu Picchu zu tun zu haben.
»Juan Santillana Machu Picchu« – Hunderte Suchergebnisse. Das war interessant!
... finden sich die eingeritzten Namen der beiden Männer, die Machu Picchu wirklich entdeckt haben: Jesu´ s Vellarde und Juan Santillana.
Hiram Bingham galt offiziell als der Entdecker der Stätte, aber diese beiden Peruaner waren zweifellos vor ihm dort gewesen.
John Hanna stand in der Tür dem Gang zugekehrt und las noch immer in
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