Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
Entdeckung haben würde.
»Vilcabamba liegt auf einem Kamm zwischen zwei Gipfeln«, schwärmte Wilson. »Man hat einen freien Blick nach allen Seiten. Sie ist eine imposante, natürliche Festung, wie man sie kein zweites Mal auf der Welt finden wird. Sie werden es mit eigenen Augen sehen. Ich kann es kaum erwarten.«
Bingham rückte einen Ledergurt auf dem Hinterteil des Esels zurecht, dann prüfte er, ob sein Springfield-Gewehr sicher befestigt war. »Wenn sie nur annähernd so schön ist, wie Sie sagen, dann wird sich die Reise wohl lohnen.«
»Allein der Anblick der Ruinen ist atemberaubend.«
In den vergangenen zwei Stunden hatte Wilson überrascht beobachtet, wie viele Zigaretten Bingham rauchte. Offenbar hatte dieser in den vielen Jahren, die er Südamerika nun schon erforschte, eine intensive Neigung zum Tabak entwickelt. Er sah überhaupt nicht wie ein Abenteurer aus, fand Wilson, und sein Benehmen war sonderbar feminin, was Wilson ebenfalls überraschte. Der Intellekt des Mannes stand außer Frage. Er hatte Abschlüsse in Geschichte und Politologie von vier Universitäten, einschließlich Yale und Harvard; und es war beachtlich, mit welcher Leidenschaft er über Archäologie redete. Dennoch fiel es Wilson schwer, in ihm den großen Hiram Bingham III. zu sehen, den Mann, der als einer der herausragenden Entdecker der Neuzeit galt.
»Ich hasse Regen«, brummte Bingham. »Schon immer.« Eine Zigarette klemmte zwischen seinen Lippen, und der Rauch quoll unter dem breiten Hutrand hervor. Seit ein paar Minuten versuchte er nun schon ungeschickt, einen Holzkasten mit sechs Flaschen Tennessee-Whiskey auf dem Rücken des Esels festzubinden, aber das dicke, durchnässte Seil ließ sich schwer zu einem einfachen Kreuzknoten binden.
»Sie werden keinen Whiskey brauchen«, meinte Wilson.
Bingham fummelte hartnäckig weiter an dem Seil herum. »Sie haben gesagt, dass wir über eine Woche lang weg sind.«
»Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir bis zum Einbruch der Dunkelheit noch bis zu zwanzig Kilometer schaffen.«
Frustriert warf Bingham die Hände in die Luft. »Ein Abenteurer braucht Whiskey zum Aufwärmen! Also entweder Sie binden das hier fest, oder ich besorge uns ein paar Träger. Ich finde sowieso, dass wir Träger brauchen – ich nehme immer welche mit, genau aus diesem Grund!«
»Wir brauchen keine«, entgegnete Wilson, während er hastig ein nasses Seil vom Boden aufhob, unter dem Sattel befestigte und dann einen Doppelknoten schlang. »Es ist ein geheimer Ort, an den wir uns begeben, und je weniger Leute erst mal davon wissen, desto besser.« Wilson stellte den Kasten auf den Rücken des Esels und zog das Seilende mit einem schnellen Ruck durch die Schlingen. »So bindet man eine Kiste fest.«
»Normalerweise ist das die Arbeit der Träger«, erklärte Bingham. »Denen überlasse ich das Packen und Zeltaufschlagen. Ich finde es unglaublich, dass wir ohne Helfer aufbrechen.«
»Es ist besser so, glauben Sie mir«, sagte Wilson. »Wenn Sie Vilcabamba erst vor Augen haben, werden Sie froh sein, dass wir beide allein dort sind.«
»Und ich soll keine Karten mitnehmen?«, fragte Bingham.
Wilson schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihre Karte gesehen. Sie stammt von Antonio Raimondi. Der Landstrich, in den wir ziehen, ist leider nicht darauf.«
»Sie ist zwar vierzig Jahre alt, aber die umfangreichste von allen existierenden Andenkarten«, hielt Bingham ihm entgegen. »Sollten wir sie nicht trotzdem mitnehmen?«
Da Wilson nicht weiterdiskutieren wollte, lenkte er ein. Aber in Wirklichkeit war die Karte nutzlos. Aus unbekannten Gründen fehlte auf ihr das gesamte Gebiet zwischen Pampaconas und dem Apurimac-Becken, insgesamt knapp viertausend Quadratkilometer, wo das Tal des Urubamba und seiner Nebenflüsse zwischen vergletscherten Gipfeln verlief. Und wo die heilige Stadt Vilcabamba lag.
In Wilsons Gedächtnis waren die detaillierten Karten des Urubamba-Gebietes sicher abgespeichert. Er hatte die unglaubliche Fähigkeit, sich an jeden Fluss, jeden Gipfel und jeden Weg zu erinnern, den er sich vor seiner Reise in die Vergangenheit eingeprägt hatte. Diese Gabe war einzigartig, und sie gewährleistete, dass niemand die Geheimnisse, die er in sich trug, an sich reißen konnte.
Der Regen, der über Cusco niederging, schwoll an und ab, hörte aber nie ganz auf, sondern verminderte sich allenfalls zu einem feinen Nieseln, um schließlich wieder zu prasseln. Seit etwa zehn Minuten war Wind aufgekommen, und
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