Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
einem gewöhnlichen Mann zu tun. Wir müssen Maßnahmen treffen, damit er nicht wieder der Stärkere ist.«
»Er hat eine Schwäche, die wir zu unserem Vorteil nutzen können.«
»Mir ist keine aufgefallen«, sagte Sontane. »Seine Kraft und Schnelligkeit sind außergewöhnlich. Ebenso sein Selbstvertrauen und seine Fähigkeit, sich aus jeder schwierigen Lage zu befreien.«
»Die Schwäche ist sein Gefährte«, erklärte Aclla. »Nehmen wir den gefangen, rauben wir Wilson Dowling die Kraft. Er hat jede Anstrengung unternommen, um ihn zu beschützen und hierher zu führen. Ich vermute, dass das seine Aufgabe ist.«
»Das ist ein guter Plan«, meinte Sontane.
»Und wenn er geschwächt ist, kann auch er gefangen und getötet werden.«
Unerwartet legte Sontane ihr die Hand auf den Unterarm. »Es tut mir leid, dass ich dich nach deinen Gefühlen gefragt habe. Das war falsch.«
Aclla nickte. »Schon vergeben. Nun geh, und teile den anderen unseren Plan mit, und bereite ihn vor. Gebt Acht, dass ihr keine Spuren hinterlasst.«
Als Sontane über den Baumstamm sprang und davonlief, betrachtete Aclla den großen Kondor, der über dem reißenden Wasser des Urubamba seine Kreise zog.
»Dies ist ein Tag der Entscheidungen«, sagte Aclla, als spräche sie mit dem Vogel. »Und es scheint, dass das Schicksal der Welt von diesen Entscheidungen abhängt, und von den Taten, die noch zu vollbringen sind.«
31.
C USCO , P ERU C ALLE P AVITOS O RTSZEIT : 2.42 U HR 19. J ANUAR 1908
In der fast leeren siebten Bank der Basilika saß Gonzales neben seiner Frau. Er trug seine Uniform mitsamt dem Säbel, der quer auf seinen Knien lag. In der Bankreihe vor ihnen saßen seine drei unruhig zappelnden Kinder im Sonntagsstaat, was für die Jungen Jackett mit Fliege und für Juanita ein rotes Kleidchen bedeutete. Die Kleidung der Kinder hatte Saritas Schwester genäht, die in der Punta-Fabrik in der Nähe des Bahnhofs als Näherin arbeitete.
In der Kathedrale hatten über siebenhundertfünfzig Leute Platz, aber heute war sie nur zu einem Drittel besetzt. Offenbar hielt der gekreuzigte Corsell Santillana die Gläubigen fern, wie Gonzales vermutete. Die geringe Besucherzahl tat der Schönheit und Pracht der Kirche jedoch keinen Abbruch. Das hohe, weiß getünchte Gewölbe war atemberaubend. Die schiere Größe dieses Komplexes aus drei Kirchen genügte, um aus der trotzigsten Seele einen Gläubigen zu machen. Ganz zu schweigen von der Herrlichkeit des Hochaltars, der stolz in die Höhen des Mittelschiffs aufragte. Ringsum brannten Kerzen und verbreiteten ein goldenes Licht.
Im Hintergrund sang der Knabenchor mit engelhaften Stimmen Espíritu de Luz y Amor. Es war erhebend zu hören, wie die Klänge sanft durch den heiligen Raum hallten. Vorn standen die Priester, Novizen und übriges Personal aufgereiht, um Solidarität zu bekunden. Die Priester trugen schwarze Soutanen mit purpurroter Schärpe, und in der Mitte stand Monseñor Domingo mit einem leuchtend purpurroten Schulterkragen über der schwarzen Soutane, die andeutete, dass er der neu ernannte Prälat war. Die Kirchendiener trugen braune Kutten und die Novizen weiße.
Als der Gesang verklungen war, schleppte Monseñor Domingo seinen fünfzig Jahre alten Körper langsam zur Kanzel hinauf und begann mit dem Segensritual. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
»Amen«, sprach die Gemeinde.
»Der Herr sei mit euch.«
»Und mit deinem Geiste.«
Plötzlich kam Bischof Francisco aus der Sakristei. Er trug eine bestickte weiße Dalmatik mit einem goldenen Schulterkragen und die Mitra auf dem Kopf. Die Hände hielt er gefaltet vor sich und den Kopf gebeugt, während er langsam auf den Hauptaltar zuging. Monseñor Domingo sprach unterdessen weiter.
»Herr, Gott, Schöpfer allen Lebens, des Leibes und der Seele, wir bitten, dass du dieses Wasser segnest, wie wir es im Glauben gebrauchen, damit du uns unsere Sünden vergibst und uns vor der Macht des Bösen bewahrst.«
Bischof Francisco stand jetzt vor dem Altar, die Hand über der Silberschale ausgestreckt, die er langsam mit Wasser aus einem silbernen Krug füllte. Gonzales sah ihm aufmerksam zu und murmelte ein Gebet.
Warum habe ich Angst vor diesem Mann? , fragte er sich. Doch die Frage fiel ihm leichter als die Antwort, und sosehr er sich bemühte, wollte er doch nicht wahrhaben, dass er in den Augen des Bischofs Wahnsinn gesehen hatte. Es muss der Lichteinfall gewesen sein, sagte er sich. Ja, der
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