Die Vergessene Welt
Polizist den Professor.
Dieser keuchte und schwieg.
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Erst vor vier Wochen
dieselbe Geschichte«, sagte er. »Der Mann hat ein blaues Auge.«
Er blickte mich an. »Wollen Sie Klage erheben, Sir?«
Ich kniff.
»Nein«, sagte ich. »Keine Klage.«
»Wie bitte?« fragte der Polizist erstaunt.
»Ich bin selbst daran schuld«, sagte ich. »Ich habe ihn nicht
in Ruhe gelassen. Er hatte mich gewarnt.«
Der Polizist klappte sein Notizbuch zu.
»Los, weitergehen!« befahl er einem Metzgerburschen,
einem Küchenmädchen und zwei anderen Schaulustigen, die
stehengeblieben waren. Er stapfte den Gehsteig entlang und trieb
die kleine Herde vor sich her.
Der Professor sah mich mit einem Blick an, in dem der
Schalk saß.
»Kommen Sie wieder mit rein«, sagte er. »Ich bin noch nicht
fertig mit Ihnen.«
Seine Stimme klang finster, ich folgte ihm aber dennoch ins
Haus.
Austin, das Faktotum, schloß die Tür hinter uns.
#4
Einfach die tollste Sache der Welt
§
Die Tür war kaum zu, als Mrs. Challenger aus dem Eßzimmer
geschossen kam. Die zierliche Frau war wütend. Wie eine
aufgeplusterte Henne, die sich vor einer Bulldogge aufbaut,
stellte sie sich ihrem Mann in den Weg. Offensichtlich hatte sie
meinen Abgang miterlebt, aber meine Rückkehr noch nicht
bemerkt.
»George, du brutales Stück!« schrie sie. »Du hast diesen
netten jungen Mann verprügelt.«
Der Professor deutete mit dem Daumen über die Schulter.
»Da ist er«, sagte er. »Gesund und munter.«
Mrs. Challenger riß erstaunt die Augen auf.
»Oh, Verzeihung«, sagte sie. »Ich habe Sie gar nicht
gesehen.«
»Das macht nichts, Madam«, sagte ich.
»Sie haben ja ein blaues Auge«, sagte Mrs. Challenger
entsetzt. »Mein Gott, George, daß du auch immer gleich so
brutal sein mußt. Von einer Woche zur anderen nichts als
Skandale. Alles verachtet mich und macht sich über mich
lustig. Ich bin mit meiner Geduld am Ende. Jetzt ist endgültig
Schluß!«
»Schmutzige Wäsche«, murmelte Professor Challenger.
»Vor anderen.«
»Das ist schon längst kein Geheimnis mehr«, zischte seine
Frau. »Die ganze Straße weiß es – ganz London sogar – gehen
Sie, Austin, wir brauchen Sie jetzt nicht. Glaubst du etwa, man
redet nicht über dich? Wo bleibt deine Würde? Einen Lehrstuhl
an einer großen Universität könntest du haben mit Hunderten
von Studenten, die dich anbeten. Wo bleibt deine Würde,
George?«
»Wie steht es denn mit deiner eigenen, meine Liebe?«
»Du hast den Bogen überspannt, George. Ein streitsüchtiger
Kerl, ein ganz gewöhnlicher, randalierender Raufbold – das
bist du mittlerweile.«
»Jetzt reicht’s aber, Jessie.«
»Ein ganz ekelhafter …«
»Das war genau das Wort zuviel, meine Liebe. Auf den
Bußschemel!«
Und damit packte er seine Frau um die Taille, hob sie in die
Höhe und setzte sie auf eine große schwarze Marmorsäule, die
in einer Ecke der Eingangshalle stand. Ich traute meinen
Augen nicht. Die Säule war gut ihre zwei Meter hoch und so
wackelig, daß Mrs. Challenger nur mit Mühe das
Gleichgewicht halten konnte. Es war ein Bild für Götter: das
Gesicht puterrot vor Wut, zappelnde Beine in Seidenstrümpfen
und ein Körper, der vor Angst völlig verkrampft war.
»Hol mich sofort wieder hier runter!« zeterte sie.
»Bitte – sagt man.«
»Du sollst mich sofort hier runterholen!«
»Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer, Mr. Malone.«
»Aber, Sir …« Ich schielte zu Mrs. Challenger hinauf.
»Mr. Malone scheint ein gutes Wort für dich einlegen zu
wollen, Jessie. Sag bitte, und du darfst wieder runter.«
»Du widerlicher Kerl! Bitte!«
Wie einen Kanarienvogel hob er sie von der Säule.
»Und jetzt benimm dich«, sagte er. »Mr. Malone ist von der
Presse. Morgen steht alles haargenau in der Zeitung, und
unsere Nachbarn reißen sich darum. Ein Blick hinter die
Kulissen, wird die Schlagzeile lauten. Und als Untertitel: So
geht es bei den Intellektuellen zu. Er ist ein Schmierfink, dieser
Mr. Malone. Absolut keine Ausnahme – porcus exgrege
diaboli, ein Schwein aus der Herde des Teufels. Habe ich
recht, Mr. Malone?«
»Nein, das haben Sie nicht«, sagte ich aufgebracht. »Ihre
Ausdrucksweise ist …«
Der Rest ging in seinem brüllenden Gelächter unter.
»Hier wird es bald Verbündete geben«, grölte er, blickte von
seiner Frau zu mir und blähte den Brustkorb auf. Plötzlich
wurde sein Ton anders. »Verzeihen Sie die kleine
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