Die Vergessene Welt
schmalen Gang zum allerhintersten Zimmer führte. Ein
Klopfen an der Tür, ein stierhaftes Gebrüll von drinnen, und da
stand ich vor dem Professor. Von Angesicht zu Angesicht.
Er saß in einem Drehsessel. Davor ein schwerer, breiter
Tisch, auf dem sich Bücher, Landkarten und grafische
Darstellungen häuften. Als ich hereinkam, fuhr er mit seinem
Sessel herum und sah mich an. Mir hätte es fast den Atem
verschlagen. Ich hatte ihn mir irgendwie seltsam vorgestellt,
aber gewiß nicht als die überwältigende Persönlichkeit, die er
war. Vor allem seine Größe war beeindruckend. Seine Größe
und seine ganze Gestalt. Er besaß den größten Kopf, den ich je
auf den Schultern eines Menschen gesehen hatte. Ich bin
überzeugt davon, daß mir sein Hut – falls er überhaupt einen
Hut hatte – über die Ohren gerutscht wäre. Sein Gesicht und
der Bart ließen mich instinktiv an einen Assyrischen Stier
denken. Während die Hautfarbe frisch und rosig war, war der
Bart so schwarz, daß er bereits bläulich schimmerte. Wie ein
Spaten aus gekräuselten Haaren ging er ihm bis auf die Brust.
Die Kopfhaare waren flach angeklatscht und in einer Welle
über die breite Stirn gezogen. Die Augen unter den struppigen
Brauen waren graublau, ihr Blick sehr klar, sehr kritisch und
sehr bestimmend. Weiterhin sah ich über der Tischplatte enorm
breite Schultern, eine Brust wie ein Faß und zwei riesige
Hände mit schwarzen Haaren auf dem Rücken. Dieses Äußere
und die Donnerstimme, das waren meine ersten Eindrücke des
berüchtigten Professor Challenger.
»Na?« brüllte er mich an. »Und jetzt?«
Ich dachte erst, daß ich keinen Ton herausbringen würde,
aber es ging doch.
»Sie waren so gütig«, sagte ich bescheiden, »mir einen
Termin zu bewilligen, Sir.«
Ich zog den Briefumschlag aus der Tasche und deutete
darauf.
Professor Challenger wühlte auf seinem Tisch, brachte mein
Schreiben zum Vorschein und breitete es vor sich aus.
»Ach ja«, sagte er. »Sie sind der junge Mann, der
Sprachschwierigkeiten zu haben, meine Theorien aber
anzuerkennen scheint.«
»Ja, Sir«, antwortete ich eifrig. »Ich erkenne Ihre Theorien
voll an.«
»Da bin ich aber sehr froh. Ihr Alter und Ihr Auftreten
machen die Anerkennung noch gewichtiger. Aber Sie
scheinen immer noch besser zu sein als diese Herde von
Schweinen in Wien, die im Chor gegen die britische Einzelsau
anquieken wollen.« Er sah mich dabei mit entsprechender
Miene an.
»Man scheint sich Ihnen gegenüber miserabel betragen zu
haben«, sagte ich.
»Ich kann mich selbst verteidigen, das können Sie mir
glauben, und brauche Ihr Mitleid nicht. Allein in seinen vier
Wänden ist G.E.Ch. der glücklichste Mensch. Deshalb machen
wir diese Unterredung kurz. Für Sie kann sie kaum angenehm
sein, und für mich ist sie eine Qual. Wenn ich richtig
verstanden habe, wollen Sie Änderungsvorschläge bezüglich
meiner Thesis machen.«
Seine Art war so direkt, daß es keine Ausflüchte gab.
Trotzdem wollte ich noch herumschmarren, bis sich mir ein
besserer Einstieg bot. Noch vor ein paar Minuten hatte ich mir
alles ganz einfach vorgestellt, aber jetzt schien mich mein
irischer Mutterwitz verlassen zu haben. Gerade jetzt, wo ich
ihn so dringend brauchte.
Professor Challenger fixierte mich mit Augen aus Stahl.
»Also?« drängte er.
»Ich bin lediglich ein einfacher Student, Sir«, sagte ich und
setzte ein einfältiges Lächeln auf. »Eigentlich nur jemand, der
ein gewisses … äh … Wissen anzusammeln versucht. Beim
Studium Ihres Vertrags ist mir eben der Gedanke gekommen,
daß Sie mit Weißmann etwas sehr streng verfahren sind. Nach
den Versuchsergebnissen der letzten Jahre scheint seine
Position doch wieder fester zu werden, oder nicht?«
»Nach welchen Versuchsergebnissen?« fragte Professor
Challenger mit einer Stimme, die bedrohlich ruhig klang.
»Es ist mir schon klar«, sagte ich, »daß diese für Sie keinen
endgültigen Beweis darstellen. Ich habe eigentlich nur
gemeint, daß die moderne Denkweise und der … äh …
allgemeine wissenschaftliche Standpunkt eher eine Richtung
pro Weißmann einschlagen, soweit ich … äh …« Ich
verstummte.
Professor Challenger lehnte sich mit sehr ernster Miene nach
vorn.
»Daß der Schädelindex ein konstanter Faktor ist«, sagte er,
»darf ich bei Ihnen doch wohl als bekannt voraussetzen, oder?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Und daß die Telegonie noch sub judice ist,
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