Die vergessenen Schwestern (Hackenholts erster Fall) (German Edition)
später bei Sophie läutete, fürchtete er schon, dass sie ihn nicht hören würde, denn aus dem offenen Fenster neben der Haustür drang in ohrenbetäubender Lautstärke Eric Burdons Paint it black . Hackenholt fragte sich, was wohl Frau Teck dazu sagte. Sophie musste die Türklingel dennoch wahrgenommen haben, da der Summer betätigt wurde. Als er eintrat verstummte die Musik abrupt.
»Entschuldigung, aber mir war gerade danach«, begrüßte Sophie ihn grinsend.
»Bei mir brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen«, lächelte Hackenholt sie an, setzte nach einem Moment aber neugierig hinzu: »Wie machen Sie das mit Frau Teck?«
Sophie lachte fröhlich. »Die ist mit Siggi nach Baden-Baden gefahren, um sich ein bisschen zu amüsieren. Wissen Sie, das Beste an unserem Haus ist, dass die Hälfte der Zeit niemand hier ist, und man tun und lassen kann, was man will.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich mag laute Musik, und hier kann man sie so wunderbar aufdrehen.« Sophie schloss das Fenster in ihrem Arbeitszimmer. »Ich bin soweit fertig. Wollen wir los?«
Bislang hatte sie mit keinem Wort seinen Einkaufszettel erwähnt.
»Haben Sie mein Fax bekommen?«, fragte Hackenholt deshalb beiläufig nach.
Als sie ihn ansah, zuckte es um ihren Mund. Aber sie sagte nichts, sondern ging nur wieder in ihr Arbeitszimmer und kam nach einem Augenblick mit einem Blatt Papier zurück. Es war ursprünglich einmal seine Mitteilung gewesen. Nun war es mit einer handschriftlichen Aufstellung ergänzt, die all die Dinge enthielt, die sie gekauft hatte.
» Soo wollte ich das haben«, sagte sie und sah ihn gespielt streng an. »Ich sehe schon, es handelt sich hier um einen männlichen Single, der nicht nur kaum Zeit und Lust zum Kochen hat, sondern auch gerne andere Leute ärgert und zu faul ist, eine anständige Einkaufsliste zu schreiben.«
Das konnte Hackenholt nun nicht auf sich sitzen lassen. »Ich habe mir natürlich eine ordentliche Einkaufsliste geschrieben, aber ich war neugierig, was Sie für mich einkaufen, wenn ich Ihnen freie Hand lasse.«
Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Sie haben auch für alles eine Ausrede, gell ?«
Hackenholt bedauerte, dass er seinen ursprünglichen Einkaufszettel nicht einstecken hatte und er damit nicht sofort den Gegenbeweis antreten konnte. Daher wechselte er das Thema. »Wo wollen wir denn spazieren gehen? Hatten Sie etwas Bestimmtes im Auge?«
»Wollen wir zum alten Kanal fahren? Dort ist es sehr schön, und ein Stück außerhalb sind auch nicht so viele Leute unterwegs«, schlug Sophie vor, während sie ihre Schuhe anzog.
»Gerne, dort war ich noch nie spazieren.« Tatsächlich hatte Hackenholt den alten Kanal nur einmal im Winter gesehen, als er dort zu einem Tatort gerufen worden war.
»Wirklich?«, fragte Sophie erstaunt. »Wo gehen Sie denn gerne hin?«
»Wenn ich Zeit habe, ist meistens kein schönes Wetter, dann bleibt mir nichts anderes, als ein Museum zu besuchen«, bekannte Hackenholt, während sie in sein Auto stiegen.
Sophie war überrascht. »Ich muss gestehen, dass ich schon ewig in keinem mehr war. Haben Sie sich dann auch die ganzen anderen Sehenswürdigkeiten in Nürnberg angeschaut, oder interessiert Sie das nicht so?«
»Doch, schon, aber ich habe keine richtigen Führungen mitgemacht, sondern mehr darüber gelesen.«
Während der ganzen Fahrt redeten sie – nur von Sophies kurzen Streckenanweisungen unterbrochen – über das mittelalterliche Nürnberg und seine berühmten Künstler und Handwerker. Sophie schien sich in der Hinsicht sehr gut auszukennen. Hackenholt warf ihr immer wieder einen überraschten Blick zu.
Schließlich erreichten sie eine abgelegene Stelle am alten Kanal, zu der sie ihn dirigiert hatte. Hackenholt parkte sein Auto neben einem ehemaligen, verfallenden Schleusenwärterhäuschen. Es war ein sehr ruhiges und idyllisches Fleckchen. Der Wald reichte bis fast an den Kanal heran, sodass der Weg dick mit Laub bedeckt war. Sie gingen los. Bei manchen Schritten wirbelte Sophie genauso ausgelassen Blätter auf, wie Hackenholt es bei seinem letzten Waldspaziergang getan hatte. Er musste lächeln und genoss die Stille, die sie umgab. Eine ganze Weile war nur das Rascheln der bunten Blätter zu vernehmen.
Das friedliche Umfeld ließ seine Gedanken immer wieder zu seiner Arbeit wandern. Er wurde den Eindruck nicht los, irgendeiner Sache nicht genug Bedeutung beigemessen, irgendwo nicht die richtige Frage gestellt zu haben. Er
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