Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
können?«
»Nein. Es ist so, wie ich dachte. In unseren Beständen taucht keine Widerstandsgruppe auf, auf die die von Ihnen genannten Merkmale zutreffen. Ich habe auch noch einmal mit dem Herrn Professor und einigen Kollegen gesprochen. Ehrlich gesagt waren sie alle verblüfft über Ihre Geschichte.«
Kimski atmet gut hörbar aus.
»Von Professor Schmidt soll ich Ihnen aber ausrichten, dass wir, falls Sie mit Ihren Recherchen Erfolg haben, an einem Informationsaustausch mit Ihnen sehr interessiert wären.«
»Und welche Informationen kriege ich von Ihnen als Gegenleistung? Sie wissen doch gar nichts!«
»Ich habe eine Liste mit Telefonnummern der letzten Zeitzeugen des Mannheimer Widerstands für Sie herausgesucht. Ich kann Ihnen die Nummern sofort durchgeben. Vielleicht können Sie ja bei jemanden ein paar Erinnerungen wecken.«
Kimski notiert sich die Daten und legt auf.
Den Rest des Nachmittags ist er damit beschäftigt, die sieben Rufnummern auf seiner Liste durchzutelefonieren. Zwei der Anschlüsse sind nicht mehr vergeben. Im dritten Fall kann er mithilfe einer Telefonbuchrecherche, durch die er Verwandte der betreffenden Person erreicht, ihren neuen Anschluss im Altersheim herausfinden. Ein anderer Mann wiederum, dessen Name auf der Liste steht, ist mittlerweile verstorben. Mit den restlichen vier Frauen und Männern führt er teils unterhaltsame, teils anstrengende Gespräche über das Leben in Mannheim gegen Ende des Zweiten
Weltkriegs. Nur zu der von ihm gesuchten Gruppierung kann ihm niemand etwas sagen. Eine Frau unterstellt ihm sogar, dass er sich von seiner Auftraggeberin hat hinters Licht führen lassen.
»So eine Gruppe hat es in den letzten Monaten vor dem Untergang nicht mehr gegeben. Die jungen Leute haben doch nur noch überlegt, wie sie ihren eigenen Kopf retten können. Nein, also einen Überfall auf ein Lager hatte bestimmt niemand mehr geplant.«
Um kurz nach sieben legt Kimski den Hörer erschöpft zur Seite. Er läuft in seinem winzigen Wohnzimmer im Kreis umher und denkt nach. Weil er mit seinen Überlegungen nicht weiterkommt, begibt er sich wieder an seinen Laptop und versucht, im Internet noch mehr zum Thema Widerstand in Mannheim zu finden. Tatsächlich gibt es einiges an Material, doch neue Erkenntnisse liefert es ihm nicht. Er erinnert sich an die Worte von Maria Kampowski. Sie hatte erwähnt, dass es etliche Sachbücher zu dem Thema gibt. Auf der Seite der Stadtbibliothek entdeckt er ein gutes Dutzend Bücher. Er notiert sich die Titel, um sie am kommenden Tag in der Bibliothek herauszusuchen und sich anzusehen.
Als er den Computer ausschaltet, bemerkt er, dass es bereits halb zehn ist. Er legt eine DVD, den ersten Teil von Stirb Langsam , in den DVD-Player und lässt sich auf das Sofa sinken.
»Was für Zeiten«, denkt er nach den ersten paar Minuten des Films.
Die Achtziger! Bruce Willis fand er damals ziemlich cool. Er darf nicht zu viel darüber sinnieren, ob es das Bild des muskelbepackten Actionhelden gewesen ist, der als einsamer Rächer die Menschheit rettet, das er im Kopf hatte, als man ihm Ende der Neunziger anbot, sich beim SEK zu bewerben? Wenn dem so ist, dann hat er damals etwas falsch verstanden. Bruce Willis hingegen jagt in diesem Moment einen Aufzug in die Luft und Kimski sinkt tiefer in die Couch. Irgendwann schläft er ein.
Kimski erwacht um 10.43 Uhr am Dienstagvormittag. Mühsam erhebt er sich und bereitet sich eine Schale Cornflakes mit saurer Milch zu. Nebenbei schaltet er den Laptop ein und sein E-Mail-Programm begrüßt ihn mit einem schrillen Ping – das Signal dafür, dass er eine Nachricht erhalten hat. Absender ist das Stadtarchiv Mannheim, Kimski kann es kaum glauben. Man hat ihm tatsächlich zügig geantwortet.
Im Dateianhang der E-Mail befinden sich die Kopien sämtlicher Dokumente, die man über Heinrich Kimski gefunden hat. Kimski öffnet zuerst die Datei mit dem Namen Geburtsurkunde. Das angegebene Geburtsdatum ist der 21. Mai 1920. Der Name der Mutter lautet Charlotte Kimski. Dort, wo der Name des Vaters hätte angegeben sein müssen, steht unbekannt . Er schüttelt den Kopf und schielt mit halb geöffneten Augen auf den Bildschirm. Eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet. Als er aber weiterliest, fährt er zusammen.
Neben Mannheim als Geburtsort wird die jüdische Kinderstube aufgeführt.
8.
Donnerstag, 10. November 1938
Mannheim
In Mannheim begannen die Ausschreitungen in den frühen Morgenstunden. Um 4
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