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Die Vergessenen. Thriller (German Edition)

Die Vergessenen. Thriller (German Edition)

Titel: Die Vergessenen. Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Wächter
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Uhr wurden bereits die ersten Verhaftungen durchgeführt, vor allem die der wohlhabenderen Juden. Die Hauptsynagoge ging nur zwei Stunden später, um 6 Uhr in Flammen auf.
    Klara machte sich wie jeden Tag um 7.30 Uhr auf den Weg zur K5-Schule. Auf ihrer Route passierte sie das Judenviertel in den F-Quadraten. Schon von Weitem sah sie das Feuer über der Kuppel der Synagoge wüten. Als sie näher kam, stellte sie fest, dass die Feuerwehr daneben stand und nichts tat. Ungläubig verharrte sie in unmittelbarer Nähe.
    »Bitte weitergehen!«, rief ihr ein SA-Mann zu. Sie wusste, dass sie zu neugierig war. Ihre Mutter hatte ihr schon lange versucht einzubläuen, dass man bei so etwas wegzusehen hatte. Als vor ein paar Jahren die ersten Boykottaktionen gegen Juden durchgeführt wurden und SA-Posten vor jüdischen Geschäften mit abschreckenden Schildern gestanden hatten, wollte Klara auch wissen, was vorsichging.
    »Sieh nicht hin, Kind. Das ist nichts für uns«, zischte ihre Mutter damals und drückte ihre Hand immer fester.
    Sie lief weiter. Überall auf der Straße lagen vor den jüdischen Geschäften die Glassplitter der eingeschlagenen Schaufensterscheiben. Aus einem leeren Rahmen krachte vor ihr ein Stuhl auf die Straße. Das Holz zerschmetterte auf dem Bordstein und die Splitter flogen Klara um die Ohren. Schützend hielt sie einen Arm vor ihr Gesicht und wich auf die andere Straßenseite aus. Auf der Höhe von H4 erblickte sie auf der Straße ein brennendes Sofa. Zwei SA-Männer standen stumm daneben, während eine Frau auf die beiden zugerannt kam.
    »Ich bin Arierin!«, rief sie. »Die Möbel gehören nicht meinem Mann, sondern mir!«
    »Halt’s Maul, du Sau!«, brüllte der eine der beiden Männer und schlug mit seiner rechten Faust nach ihr. Sie stürzte zu Boden. Klara sah beschämt zur Seite, als sie an ihnen vorüberging. So wie sie es gelernt hatte.
     
    Der vormittägliche Unterricht verlief wie an jedem anderen Tag auch. Gegen halb eins am Mittag erschütterte eine Detonation das gesamte Schulgebäude. Die Lehrerin hielt die Klasse zur Ruhe an und setzte die Stunde fort.
    Nachmittags hatte Klara Deutschunterricht bei Frau Schlesinger. Als durch die Fenster des Klassenraums deutlich zu sehen war, wie im gegenüberliegenden Haus im Quadrat I5 ein jüdischer Geschäftsmann von der SA gezwungen wurde, eigenhändig die gesamte Einrichtung seines Büros auf die Straße zu tragen, sprang die Lehrerin auf.
    »Wie soll man denn so unterrichten können!«, schrie sie und rannte aus dem Zimmer.
    Eine Viertelstunde später kam eine andere Lehrerin herein und teilte den Schülerinnen mit, dass für sie der restliche Unterricht ausfiele. Auf dem Nachhauseweg nahm Klara nicht ihren herkömmlichen Schulweg, sondern machte einen Umweg über den Ring. Doch auch hier waren überall die Spuren der Zerstörung sichtbar.
    Auf der Höhe der Liebfrauenkirche kam ihr eine grölende Gruppe von HJ-Pimpfen entgegen. Die vier Jungen waren etwa in ihrem Alter und hielten Büstenhalter und Damenschlüpfer in ihren Händen, mit denen sie aufeinander einpeitschten. In der Nähe ihres Zuhauses war ein Parterre-Appartement demoliert worden.
    »Besichtigen Sie die Bescherung gegen ein Entgelt von 20 Pfennig. Der Erlös geht zugunsten des Winterhilfswerks«, verkündete ein Polizeibeamter jedem Passanten, der an dem Haus vorbeikam.
    Zu Hause erfuhr Klara von einer Nachbarin, dass die Explosion, die sie am Mittag gehört hatte, durch die Sprengung des Eingangsgebäudes des jüdischen Friedhofs hervorgerufen worden war. In der Wohnung ihrer Familie angekommen, zog Klara sich in ihr Zimmer zurück und wartete. Am frühen Abend kam ihre Mutter von der Arbeit. Sie aßen zusammen eine Kleinigkeit und machten sich dann fertig, um das Haus zu verlassen.
     
    Die Missionsveranstaltung in der Trinitatiskirche war schon seit Monaten angekündigt. Vikar Jaeger hatte sie gemeinsam mit der Allianz, dem Bund der evangelischen Frei- und Landeskirchen, organisiert. Klara mochte ihn und sie wusste, dass Jaeger Mitglied der Bekennenden Kirche war. Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten Pfarrer Kiefer, der der Landesführer der Deutschen Christen war.
    Die Trinitatiskirche befand sich schräg gegenüber der Hauptsynagoge. Als Klara und ihre Mutter an der Kirche ankamen, war noch mehr als eine halbe Stunde Zeit, bis die Veranstaltung beginnen sollte. Das Feuer in der Synagoge war mittlerweile erloschen, aber direkt gegenüber der Kirche, vor dem Wartburghospiz,

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