Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
doch Eva sieht nichts Ungewöhnliches. Erleichtert atmet sie aus. Das Zimmer liegt kahl und fast leer geräumt vor ihr. Es sind nur noch die Matratze und zwei große Reisekoffer übrig. Und der Elektroschocker, den sie wie erwartet sofort auf der Fensterbank erblickt. Jetzt muss sie nur noch einen Fuß in den Raum setzen, um auch alle Ecken zu überblicken, dann hat sie letzte Gewissheit.
Als sie das Zimmer betritt, huscht ein schwarzer Schatten aus der linken Ecke, die sie vorher nicht einsehen konnte. Mit Gewalt wird sie an ihrer Schulter gepackt und schneller, als sie reagieren kann, zurückgerissen.
Sie spürt den heißen Atem in ihrem Rücken, spürt, wie ihr rechter Arm zurückgezogen und nach hinten gebogen wird. Sie holt mit ihrem rechten Fuß aus und tritt mit voller Wucht nach hinten aus. Der spitze Absatz ihres Stiefels knallt auf etwas Hartes. Hinter sich vernimmt sie ein kurzes Japsen, einen unterdrückten Aufschrei.
Sie kann fühlen, dass die Hände, die ihren Körper umklammern, für einen kurzen Moment ihren Griff lockern. Eva windet sich wie ein Zitteraal unter Strom, sie geht in die Knie, vollzieht eine halbe Drehung und reißt sich los. Sie weiß selbst nicht, wie sie nach dieser Aktion auf ihren Absätzen wieder aufrecht zum Stehen kommt. Als sie sich vor der dunklen Gestalt mit der Fechtmaske aufrichtet, reißt sie ihr rechtes Bein hoch und donnert ihren Stiefelabsatz zwischen deren Beine.
Die Gestalt will noch nach ihr greifen, aber zu spät. Ein Grunzen wird unter der Maske hervorgepresst, es klingt wie das Schwein, das ihr Onkel damals in dem Dorf auf Sizilien geschlachtet hat. Ihr Gegner torkelt zurück, prallt gegen die Wand, geht in die Knie und krümmt sich. Damit dürfte klar sein, dass die Person, die sich hinter dieser Maskerade verbirgt, männlich ist. Eva dreht sich um und rennt, so gut es eben mit hohen Absätzen geht, Richtung Fensterbank.
Kurz bevor sie den Elektroschocker erreicht, veranlasst sie ein idiotischer Reflex, sich im Laufen umzusehen. Der Maskenmann hat sich bereits aufrichten können und hält ein riesiges Messer in der Hand. Wo zum Henker hat er das denn auf einmal her?
Vielleicht ist es der Schock gewesen, der ihren Gegner so schnell wieder auf die Beine hat kommen lassen, und vielleicht sind es die Stiefel oder auch etwas anderes, jedenfalls erwischt sie den Elektroschocker gerade noch mit ihren Fingerspitzen, reißt ihn in ihre Richtung, rutscht dann aber aus und stürzt in vollem Schwung zur Seite.
Sie hört, wie ihre Waffe auf dem Boden aufschlägt, irgendwo außerhalb ihres Blickfelds. Sie selbst landet relativ weich auf ihrer Matratze.
Aus dem Augenwinkel heraus kann sie sehen, wie der Maskierte zum Sprung in ihre Richtung ansetzt.
Blitzschnell rollt sich Eva zur Seite und tastet mit ihrer Hand über den Boden. Tatsächlich, es gelingt ihr, den Elektroschocker zu fassen.
Auf dem Rücken liegend will sie ihre Waffe hochreißen, doch im selben Moment spürt sie, wie ein schwerer Körper auf sie fällt. Ihre Eingeweide ziehen sich zusammen, keuchend stößt sie einen Schwall Luft aus.
Dann merkt sie auch schon, wie eine kalte Klinge oberhalb ihres Kehlkopfs in die Haut gedrückt wird.
Eva beugt ihr Handgelenk nach vorn, um besser zielen zu können. Sie muss jetzt nur noch den Auslöser drücken und hoffen, dass er vor Schmerz das Messer loslässt. Doch Moment, ist es nicht eher so, dass man sich an Gegenständen festkrallt, wenn man einen Stromschlag erhält? Bevor sie weiter nachdenken kann, packt er sie an ihrem Handgelenk und hält es so fest, dass sie die Waffe fallen lässt. Der Maskierte packt den Elektroschocker und schmeißt ihn hinter sich, ohne genau darauf zu achten, wohin er wirft. Mit der freien Hand packt er Eva an den Haaren. Indem er sich langsam aufrichtet, zieht er sie mit sich in die Höhe. Auf einmal lässt er sie los, nimmt die Klinge von ihrem Hals weg und steht ihr gegenüber, das Messer aber noch auf sie gerichtet.
Was soll das, warum rührt er sich nicht mehr? Hat er überhaupt einen Plan? Eva hat den Eindruck, als fange er gerade erst an zu überlegen, was er mit ihr anstellen soll.
Evas Blick wandert vorsichtig an ihm vorbei. Sie sieht den Elektroschocker, der am Fuße des Türrahmens liegt, dann sieht sie wieder zu dem Maskierten.
»Vaffanculo!«, brüllt sie.
Scheiß drauf, besser sie macht irgendetwas, als sich ohne Gegenwehr von einem Spinner abstechen zu lassen, denkt sie und springt an dem Angreifer vorbei auf den
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