Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
komplett totgeschwiegen wurde, während Menschen, die ganz offensichtlich ihren Nutzen aus dem Krieg gezogen hatten, im neuen Staat als Erste wieder etwas zu sagen hatten?
Es gab aber noch etwas, worüber Klara nachdachte und was sie klären wollte. Sie hatte nämlich noch immer keine Ahnung, was in der unheilvollen Nacht im Sandhofener Wald wirklich passiert war. Zuerst hatte sie Schüsse gehört, dann Stimmen und schließlich Schreie – und dann hatte sie ihren Posten verlassen und war geflüchtet. Was mit den anderen Mitgliedern der Gruppe passiert war, wusste sie nicht. Hatte sie die anderen im Stich gelassen? Was hätte sie überhaupt unternehmen können?
»Lass gut sein«, hatte Karl gesagt, wenn er ihr überhaupt noch geantwortet hatte und nicht an ihr vorbeiging, sich in seinen Mantel warf und den Abend außer Haus verbrachte, um seine Ruhe zu haben. Aber Klara konnte einfach nicht aufhören, über das Thema zu reden.
»Was ist mit den Menschen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, weil sie ihr Gewissen nicht verleugnen konnten und wollten? Sollen diese Menschen einfach so in Vergessenheit geraten?«
Karl hatte nur geknurrt. Dann war er gegangen und kam erstmals nicht am selben Abend zurück, sondern erst nach drei Tagen. Mit einer anderen Frau. Klara hatte, ohne zu zögern, ihren Koffer gepackt und war in den nächsten Zug nach Mannheim gestiegen. Erst als sie im Abteil saß, hatte sie sich erlaubt zu weinen. Ihre Eltern hatten sie freundlich aufgenommen und jetzt war sie hier.
Vor ihr erhoben sich riesige graue Platten. Was sollte das sein, bauten sie etwa die Kirche wieder auf? Aus Beton, wie einen Bunker? Der Krieg hatte einfach zu lange gedauert.
Traurigkeit erfasste sie, als sie weiter durch die Straßen der Stadt schlenderte, in der sie sich einst so gut ausgekannt hatte – das kam ihr vor, wie in einem anderen Leben. Es war, als würde sie die Wege zum ersten Mal zurücklegen. Vielleicht war es auch die erdrückende Befremdlichkeit der Umgebung, die es ihr ermöglichte, ihn sofort wiederzuerkennen, obwohl es Jahre her war. Obwohl sie nicht einmal seinen Namen kannte, nichts über ihn wusste. Aber als sie ihn in der Nähe des Eingangs zum Paradeplatz-Tiefbunker stehen sah, in dem mittlerweile ein Hotel untergebracht war, wusste sie sofort, dass er es war.
Es war Herakles.
30.
Mittwoch, 30. April
Heidelberg
Eva steht in der Küche ihrer Wohnung und hält ihr tragbares Telefon in der Hand. Sie wählt Kimskis Nummer. Es ertönt immer noch kein Freizeichen, stattdessen erklärt ihr die Stimme vom Band, der Teilnehmer stehe momentan nicht zur Verfügung.
»Dieser Mistkerl!« Er hat ihr doch versprochen, sein Handy anzulassen. Wann lernt er endlich, dass man ein Mobiltelefon einschalten muss, damit es seine Funktion erfüllen kann – Erreichbarkeit, zu jeder Zeit an jedem Ort.
Sie greift noch einmal zum Hörer und wählt Carlos Nummer. Sie sieht auf die Uhr, bald 23 Uhr. Zum Glück geht Carlo nie früh ins Bett.
»Na, wie geht es unserem Gast?«, begrüßt sie ihn.
»Dem alten Eisbären geht es wunderbar. Er hat sich großartig bei mir eingelebt. Wir sehen gerade einen alten James Bond-Film auf DVD.«
Hat Carlo gerade Eisbär gesagt? Obwohl – manchmal geht es bei ihm tatsächlich zu wie in einem Zoo. Es stellt sich nur die Frage, für wen er sich selbst hält, wenn er den Widerstandskämpfer für einen Eisbär hält. Für den Zoowärter?
»Pass mal auf, Carlo. Ich will gar nicht lange stören. Du kannst mir doch bestimmt die Nummer deines Kumpels Franz geben, oder?«
»Klar. Worum geht es denn? Du willst ihn doch hoffentlich nicht um diese Uhrzeit aus dem Bett klingeln? Der Franz ist nicht so ein Nachtmensch wie wir.«
»Wahrscheinlich hast du recht, ich kann ihn auch morgen früh anrufen. Ich sollte langsam auch Feierabend machen, so wichtig ist es heute dann doch nicht mehr. Es geht nur um einen Historiker aus Mannheim, der tödlich verunglückt ist und über den ich mehr erfahren möchte. Ich dachte, dass Franz ihn vielleicht kennt.«
»Du meinst diesen Lautenbach?«
»Genau. Kennst du ihn etwa?«
»Ich nicht, aber über den Unfall, der ja vielleicht doch keiner gewesen sein soll, stand doch ein Bericht im Mannheimer Morgen. Ich habe Franz darauf angesprochen. Ich glaube, das war sogar an dem Tag, als wir zusammen in der Kneipe waren. Ich hab einen blöden Witz darüber gemacht, dass das Berufsrisiko von Historikern auch immer mehr steigt, und gefragt, ob Franz denn schon
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