Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Klacken, als alle Autotüren gleichzeitig verschlossen werden. Sie sieht zu ihrer Tür und erst jetzt bemerkt sie, dass der Fensterheber abgeschraubt und der Knauf zum Entriegeln des Schließmechanismus auf ihrer Seite abgesägt und komplett in der Öffnung verschwunden ist.
»Der Wagen ist zwar schon älter, war aber eins der ersten Modelle, die serienmäßig eine Zentralverriegelung hatten. Super, oder?«
Lukas sieht zu ihr rüber. Er lächelt immer noch. Eva tastet nach der Handtasche auf ihrem Schoß. Ob sie an den Elektroschocker kommt, ohne dass er es merkt? Sie kann seinen Blick auf ihren Händen spüren.
»Das ist nicht der Weg nach Mannheim.«
»Ich weiß.«
32.
August 1968
Marbella
Wie nur, wie nur könnte sie ihn ablenken? Sie musste es irgendwie fertigbringen, dass er sie allein in die Stadt gehen ließ. Die ersten drei Tage hatte sie all das mitgemacht, was er vorgeschlagen hatte. Was so viel hieß wie: Strand, Strand, Strand. Spanien war großartig – die Sonne, die Freiheit, die man verspürte, wenn man durch das weite Land reiste, da musste sie ihm schon recht geben. Aber das war nicht der Grund, weswegen Klara hingefahren war.
Beim Frühstück hatte sie ihm eröffnet, dass sie heute nicht mit ans Meer kommen, sondern sich lieber die Altstadt Marbellas ansehen würde. Aber er könne ruhig allein zum Baden gehen, sie wolle ihm den Spaß nicht verderben.
»Altstadt?«, sagte Eugen. »Aber das ist doch nur ein winziger Bereich. Wir haben doch bei unserer Ankunft schon festgestellt, dass der historische Kern nicht viel hergibt.«
Er hatte schon recht, die Stadt bestand hauptsächlich aus Neubauten, die erst in den letzten Jahren entstanden waren.
»Bitte«, entgegnete sie schlicht.
»Ich verstehe dich nicht, wir sind doch wegen der Sonne hergekommen.«
Wieder hatte er recht. Er verstand sie nicht, schon lange nicht mehr.
Dabei hatte alles so gut angefangen mit ihnen. Endlich hatte Klara jemanden gefunden, mit dem sie über ihre Kriegserlebnisse reden konnte, er war ja selbst dabei gewesen, außerdem konnte er ihr noch mehr darüber erzählen – darüber, was nach ihrer Flucht aus dem Wald passiert war. Darüber, wie er verhaftet worden war und wie man ihn in einen Gestapokeller verfrachtet hatte. Anfangs hatte Eugen auch noch von dem SS-Mann Friedrich Schulze gesprochen. Davon, wie dieser ihn verhört hatte, manchmal mit einer Fechtmaske auf ihn losgegangen war, ihn gefoltert hatte und immer mal wieder ganz ohne Maske erschienen war und dabei die ganze Zeit über auf seine Menschlichkeit gepocht hatte.
Irgendwann hatte Eugen über all das nicht mehr reden können. Klara hingegen brannte noch immer vor Neugier, die noch ungestillt war. Sie begann, sich zu informieren. Sie fand heraus, dass der SS-Mann nach dem Krieg einfach verschwunden war, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Auch für sein Wirken bei der Gestapo in Mannheim fanden sich keine Beweise mehr. Vielleicht war es gerade diese Information, die ihr neuen Antrieb verlieh. Wie konnte es sein, dass dieser Mann einfach verschwinden konnte, ohne für seine Taten belangt zu werden, während seine Opfer in Vergessenheit gerieten? So wurde dem Täter am Ende doppelte Genugtuung zuteil.
Über Jahre stagnierten Klaras Nachforschungen, bis sie eines Tages einen Journalisten traf, der ihr von der Kolonie alter SS-Veteranen in Spanien erzählte. Wer nicht bis nach Südamerika wollte, wäre auf der Flucht einfach an der Costa del Sol geblieben und hätte sich dort gemütlich eingerichtet. Des Weiteren hätten sich die Kriegsverbrecher unter deutsche Touristen gemischt und seien entweder aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in den aufkommenden Tourismus oder aufgrund ihrer Kriegserfahrung ins Waffengeschäft eingestiegen.
Warum er denn darüber nicht in der Zeitung berichte, hatte sie ihn gefragt. Dieser Missstand sei doch eine große Geschichte wert. Der Journalist hatte gleichgültig den Kopf geschüttelt.
»Das will doch niemand lesen.«
Stattdessen hatte er Klara eine Adresse aus dem örtlichen Telefonbuch von Marbella besorgt, denn unlängst hätten Urlauber dort am Strand einen älteren Herrn als ehemals hohes Tier der SS identifiziert und dies den deutschen Behörden gemeldet. Ohne Resultat. Aber sie könnte ja mal bei dem Alten vorbeischauen, denn sollte Schulze noch in Europa sein, dann war er bestimmt in der Nähe Marbellas zu finden.
Eugen hatte schließlich nachgegeben und sie allein ziehen lassen. Klara brauchte eine
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