Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Schlagwaffe sinken, denn die beiden mutmaßlichen Prostituierten werden wohl kaum über ihn herfallen und Franz hat sich freiwillig frühzeitig außer Gefecht setzen lassen. Damit dürfte auch geklärt sein, was er mit den 100.000 Euro anstellt.
Kimski lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Über dem Bett prangt ein überdimensionaler Abzug einer nackten Athletin aus Leni Riefenstahls Olympiafilm. Auf einem riesigen Plasmabildschirm in der Ecke läuft ein Schwarz-Weiß-Film. Darin wiederholen sich in einer Art Endlosschleife dieselben Bilder deutscher Soldatenkolonnen bei irgendwelchen Paraden. Die Choreografie des Ganzen erinnert an geometrische Formen. Dazwischen Hitler, der vom Podium winkt, und wieder die marschierenden Truppen. Im restlichen Zimmer stehen allerhand NS-Devotionalien herum, darunter ein schwarzer SS-Helm und eine Flasche mit Führerbier, Geschichtsbücher sind überall verstreut. Das alles passt zur Musik, die mit einem gewissen Selbstbewusstsein düsteres Industrial-Gestampfe mit pathetischer Marschmusik und sanften Engelschören verbindet und die aus den Boxen dröhnt.
»Ich dachte, du arbeitest in der Abteilung Widerstandsforschung?«, fragt Kimski, geht zur Musikanlage und stellt den Ton ab. Die beiden Mädchen sind mittlerweile aus dem Zimmer verschwunden.
»Was, was?«, stammelt Franz.
Er sieht ziemlich verängstigt aus, nicht wie ein brutaler Killer, denkt Kimski und macht einen Schritt auf ihn zu. Es fällt ihm schwer, nicht auf das schrumpelige Etwas zwischen dessen Beinen zu starren.
»Deine Nachbarn haben wohl kein Problem damit, wenn du hier deine Partys feierst?«
»Nein, ja ... äh ... die Nachbarn oben sind in Urlaub und Frau Schmidt im Erdgeschoss, die Hausbesitzerin, ist total taub, wenn sie ihre Hörgeräte nicht drin hat.«
Franz verschluckt sich beim Reden.
»Aha.«
Kimski setzt sich an den Rand des Bettes, schlägt ein Bein über das andere und legt das Brecheisen gut sichtbar auf seinen Schoß. Der Anblick ist wirklich widerlich, sodass Kimski einen kurzen Augenblick lang überlegt, die Scham des Historikers zu bedecken.
Er könnte beispielsweise den Stahlhelm darüber legen. Er tut es doch nicht, obwohl die Versuchung, diesen Anblick zu verschleiern, wirklich groß ist. So bleibt die Machtverteilung bei dem folgenden Verhör zu seinen Gunsten erhalten.
Durch den Türrahmen sieht er noch, wie die beiden Mädchen in den Flur treten. Sie tragen wieder ihre normale Arbeitskleidung – kurze Röckchen und hohe Stiefel – und verschwinden wortlos durch die offen stehende Wohnungstür. Kimski dreht seinen Kopf zu Franz und fragt lakonisch: »Freundinnen von dir?«
»Was willst du eigentlich hier?«
»Ich bin derjenige, der hier die Fragen stellt«, sagt Kimski und streichelt das Brecheisen. Er beobachtet, wie sich Schweiß auf Franz’ Stirn bildet – noch mehr Schweiß als vorher.
»Äh, bitte.« krächzt Franz.
»Wie meinen?«, fragt Kimski mit gespielter Lässigkeit.
Franz zeigt mit seinem Kopf nach links, stottert irgendetwas, das Kimski nicht verstehen kann, selbst wenn er es wollte.
»Du musst schon deutlicher reden, wenn du willst, dass man dich versteht.«
»Na da.«
Franz streckt seinen Hals nach vorn und nickt immer wieder in dieselbe Richtung.
Kimski folgt seinem Blick. »Ach so, versteh schon.«
Kimski steht auf und läuft zu einer Kommode. Er nimmt den kleinen Schlüssel, der darauf liegt.
»Den hier meinst du?«
Franz nickt wild.
»Der fehlt mir noch für meine Sammlung.«
Kimski steckt ihn in dieselbe Hosentasche, in die er zuvor den Schlüssel gesteckt hat, mit dem er Timmermann im Präsidium eingeschlossen hat.
»Aber!«
Kimski setzt sich wieder auf das Bett.
»Scheiße! Mann, was willst du!«
Franz’ Kopf läuft rot an, sein Tonfall ist aggressiv und das Sprechen klappt wieder etwas besser.
»Wo ist Eva?«
»Eva?«, quietscht Franz hervor. Er klingt so, als wäre er ernsthaft verwirrt.
»Du weißt schon, von wem ich rede.«
»Nein. Was denn? Was willst du eigentlich?«
»Du wiederholst dich.«
»Ich kenne keine Eva.«
»Du erinnerst dich doch noch an unser Treffen in dem Weinlokal?«
Franz nickt wieder.
»Also ja?«
»Ja! Eva«, ruft Franz aus. »Deine Freundin.«
»Sie ist nicht meine Freundin«, sagt Kimski und drückt Franz die Spitze des Brecheisens an die Gurgel.
»Schon, schon klar«, presst Franz hervor.
»Ich mach mir nur Sorgen um sie, verstehst du?«
»Alles was du sagst, Mann.«
»Gut.« Kimski
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