Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
als wärst du nicht der, für den du dich im Historischen Institut ausgibst.«
»Nein, nein. Das verstehst du falsch. Das hat alles nur ... nur ästhetische Gründe.«
»Was hat Ästhetik damit zu tun?«
»Ich, ich war schon seit frühester Jugend von Symbolen totalitärer Systeme und Strukturen fasziniert. Die Gleichförmigkeit von Uniformen, die Macht und Kontrolliertheit, die deutlich zu erkennen sind, Menschenmassen, das Rigide, die Makellosigkeit in der Kunst. Das alles versetzt mich in ... in Verzückung. Das Ganze hat überhaupt nichts mit Politik zu tun, das musst du mir glauben. Selbst wenn ich als Kind die alten Fotoalben meiner Großeltern durchgeblättert und die ganzen Uniformen gesehen habe ... Das hatte etwas Majestätisches! Ich habe nur noch Bücher über den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg gelesen, über den Spanischen Bürgerkrieg und Mussolini. Es lief dann darauf hinaus, dass ich nach der Schule und der Bundeswehrzeit Geschichte studiert habe. Das ist alles.«
Je länger Franz über sein sonderbares Hobby und seine Neigung spricht, desto lockerer wird er, stellt Kimski fest. Auf einmal artikuliert er sich auch wieder normal.
»Und deswegen brauchst du Prostituierte in schwarzen Uniformen, damit du den … Na ja, du weißt schon.«
Franz schweigt.
»Verrückt!«, denkt Kimski. Aber dafür hat er ihn jetzt bei den Eiern.
»Was ist mit der Doktorarbeit?«
»Ich, ich bin der Einzige, dem Jonathan eine Kopie gegeben hat. Er hatte den Text nur auf seinem Laptop gespeichert. Eine Sicherungskopie hat er regelmäßig auf einen USB-Stick gezogen. Die Polizei hat aber weder den Computer noch den Stick gefunden.«
»Und was ist mit deiner Kopie?«
»Die habe ich versteckt. Da drüben im Schrank, in der mittleren Schublade.«
Kimski steht auf, läuft durchs Zimmer und öffnet besagte Schublade. Franz hat doch tatsächlich Unterhosen, auf denen im Schritt ein Hakenkreuz aufgedruckt ist! Das hat Kimski zum letzten Mal in einem Musikvideo der Sex Pistols gesehen.
Er zieht die Schublade komplett heraus und nimmt den Ausdruck hervor. Was für ein selten blödes Versteck. Franz wollte wohl besonders gewieft sein, aber dort wäre die Polizei bei einer Hausdurchsuchung sofort über die Unterlagen gestolpert. Er blättert den losen Papierstapel kurz durch, schüttelt ihn einmal, damit der Staub herausfällt, und geht zurück zu Franz.
»Was ich mich die ganze Zeit schon frage, ist, wie Jonathan eigentlich auf die Spur von Adelbert Kampowski und dieser Widerstandsgruppe kam.«
»Er fand Unterlagen von einer Frau, die bereits in den Siebzigern einen Brief an das Historische Institut in Mannheim geschickt hatte. Aber irgendwie ist ihr Schreiben damals untergegangen. Sie war anscheinend in der Widerstandsgruppe aktiv gewesen.«
Eine Frau? »Hieß die Frau vielleicht mit Vornamen Klara?«
»Ich glaube schon. Aber das steht alles in der Doktorarbeit ganz genau erklärt, inklusive einer Abschrift des Briefs.«
»Und den Originalbrief? Hast du den auch verschwinden lassen?«
»Ja, den hab ich weggeworfen, weil ich wegen des Geldes nicht auffliegen wollte. Jonathan hätte das alles auch nicht mehr genützt. Lebendig wäre er davon doch auch nicht mehr geworden, hätte man seine Forschungsergebnisse veröffentlicht.«
Kimski klemmt sich den Ausdruck unter den Arm und nimmt das Brecheisen.
»Bitte verrate mich nicht. Bitte! Du hast doch gesehen, wie viel Kohle diese Kampowskis haben. Das ist doch nur Wechselgeld für die, es tut ihnen nicht weh, wenn ich es behalte.«
»Dann darfst du mich aber auch nicht verraten«, sagt Kimski und macht noch einen Schritt auf Franz zu, bis er direkt neben ihm an der
Bettkante steht. »Weswegen sollte ich dich denn verraten?«
»Dafür zum Beispiel.«
Kimski nimmt das Brecheisen, zielt und holt aus.
»Hey!«, brüllt Franz.
Kimski lässt die Schlagwaffe herabsausen, kurz bevor diese Franz’ Körper trifft, hält er inne. Er dreht seinen Kopf zu ihm und starrt in seine Augen. Langsam entfaltet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht.
»War nur ein Scherz.«
Franz atmet auf. »Hast mich ganz schön erschreckt.«
Kimski richtet sich wieder auf.
»Dann lass ich dich jetzt mal allein.«
»Ja, aber vergiss nicht die Handschellen. Die sind doch jetzt nicht mehr nötig, ich hab alles erzählt.«
Kimski lächelt immer noch. Er dreht sich um, tritt in den Flur und betrachtet die Wohnungstür. Das Holz ist zwar an mehreren Stellen zersplittert, aber das Schloss ist noch
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