Die vergessenen Welten 03 - Die selbernen Ströme
Einwohner – wenig im Vergleich zu den großen Städten im Süden und zu Tiefwasser, der nächsten Stadt, die einige hundert Meilen weiter an der Küste lag. Dem jungen Barbaren, der sein ganzes bisheriges Leben bei den Nomadenstämmen und in den kleinen Siedlungen von Zehn-Städte verbracht hatte, kam die befestigte Hafenstadt wirklich riesig vor.
Luskan wurde von einer Mauer mit Wachtürmen umgeben, die in unterschiedlichen Abständen an strategisch wichtigen Punkten angelegt waren. Selbst auf diese Entfernung konnte Wulfgar die dunklen Umrisse vieler Soldaten, die die Brustwehr auf und ab schritten, und ihre Speere, deren Spitzen im jungen Licht des Tages glänzten, ausmachen.
»Sieht nicht gerade nach einem begeisterten Empfang aus«, bemerkte Wulfgar.
»In Luskan sind Besucher in der Regel unerwünscht«, erklärte Drizzt, der sich hinter seine beiden Freunde gestellt hatte. »Sie öffnen ihre Tore wohl mal für Händler, aber gewöhnliche Reisende werden normalerweise abgewiesen.«
»Unser erster Kontaktmann ist hier«, knurrte Bruenor. »Und ich habe nicht die Absicht, mich abweisen zu lassen!« Drizzt nickte nur und beließ es dabei. Bei seiner Reise nach Zehn-Städte hatte er um Luskan einen großen Bogen gemacht. Die Stadtbewohner, überwiegend Menschen, sahen voller Verachtung auf andere Rassen herab. Selbst Elfen und Zwergen wurde oft der Eintritt verwehrt. Drizzt konnte sich gut vorstellen, daß die Wachen es bei einem Dunkelelfen nicht dabei belassen würden, ihn einfach nur abzuweisen.
»Kümmert euch um das Frühstücksfeuer«, knurrte Bruenor, und sein wütender Ton ließ seine Entschlossenheit erkennen, sich nicht von seiner Entscheidung abbringen zu lassen. »Wir werden das Lager früh abbrechen und noch vor Mittag vor den Toren stehen. Wo ist denn dieser verfluchte Knurrbauch?« Drizzt sah über die Schulter zurück auf ihr Lager. »Er schläft«, erklärte er, obwohl Bruenor auf seine Frage gar keine andere Antwort erwartet hatte. Seitdem sich die Gefährten von Zehn-Städte auf den Weg gemacht hatten, ging Regis stets als erster schlafen und stand als letzter auf (und auch da mußten sie nachhelfen).
»Dann gibt ihm einen Tritt!« befahl Bruenor. Er wollte wieder zum Lager zurückkehren, aber Drizzt legte eine Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück.
»Laß den Halbling schlafen«, meinte der Dunkelelf. »Vielleicht ist es besser, wenn wir Luskans Tore in der Abenddämmerung erreichen, wenn wir nicht mehr so klar erkennbar sind.« Drizzts Bitte verwirrte Bruenor nur einen kurzen Augenblick – bis er dessen verdrossenes Gesicht prüfend betrachtete und die Angst in den Augen des Dunkelelfen ablas. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen den beiden eine so enge Freundschaft entwickelt, daß Bruenor oft vergaß, daß Drizzt ein Ausgestoßener war. Je weiter sie sich von Zehn-Städte entfernten, wo Drizzt bekannt war, desto eher würde er nach der Farbe seiner Haut und dem Ruf seines Volkes beurteilt werden. »Ja, lassen wir ihn schlafen«, gab Bruenor nach. »Vielleicht sollte ich mich auch noch ein wenig hinlegen.«
Am späten Vormittag brachen sie ihr Lager ab und zogen in gemächlichem Schritt weiter, nur um feststellen zu müssen, daß sie die Entfernung zu der Stadt falsch eingeschätzt hatten. Es war schon lange nach Sonnenuntergang in den ersten Stunden der Dunkelheit, als sie endlich vor dem Nordtor der Stadt standen.
Das Tor entsprach völlig Luskans Ruf, Fremden gegenüber feindselig gesinnt zu sein: Es war eine einzige, eisenbeschlagene Tür, die zwischen zwei niedrigen, rechteckigen Türmen in die Steinmauer eingesetzt und fest verschlossen war. Einige Soldaten streckten ihre mit Fellmützen bekleideten Köpfe von der Brustwehr über dem Tor vor, und die Gefährten spürten noch viel mehr Augen. Wahrscheinlich waren von den in Dunkelheit gehüllten Turmspitzen zahlreiche Bogen auf sie gerichtet.
»Wer seid ihr, daß ihr jetzt vor Luskans Tor steht?« ertönte eine Stimme von der Mauer.
»Reisende aus dem Norden«, antwortete Bruenor. »Eine erschöpfte Gruppe, die den ganzen Weg von Zehn-Städte in Eiswindtal zurückgelegt hat!«
»Das Tor wird bei Sonnenuntergang geschlossen«, erwiderte die Stimme. »Verschwindet wieder!«
»Sohn eines haarlosen Gnolls«, brummte Bruenor leise. Er umklammerte mit beiden Händen seine Axt, als wolle er die Tür zerhacken.
Drizzt legte beruhigend eine Hand auf die Schulter des Zwerges. Sein scharfes Gehör hatte das Klicken einer
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