Die vergessenen Welten 05 - Der magische Stein
mußte er nicht einen Augenblick darüber nachdenken, ob diese einfachen Fragen müßige Drohungen waren. Außerdem sagte ihm der Blick von Entreri, der sich nun auf ihn heftete, daß er zweifellos das erste Ziel sein würde, wenn seine Mannschaft sich gegen den Meuchelmörder erheben sollte.
»Ich verlasse mich auf dein Wort«, sagte er herrisch, um dem Murren seiner nervösen Mannschaft Einhalt zu gebieten. »Es besteht keine Notwendigkeit, die Wunden zu untersuchen. Aber Krankheit oder nicht, unsere Abmachung gilt nicht mehr.« Er sah auf den toten Matrosen, um seine Worte näher zu erklären.
»Ich habe nicht vor, nach Calimhafen zu schwimmen«, zischte Entreri.
»Natürlich«, erwiderte der Kapitän. »In zwei Tagen legen wir in Baldurs Tor an. Dort wirst du sicher ein anderes Schiff finden.«
»Und du wirst mir jedes Goldstück zurückzahlen«, sagte Entreri ruhig.
Der Kapitän sog lange an seiner Pfeife. Dies war eine Schlacht, auf die er sich nicht einlassen wollte. »Natürlich«, stimmte er genauso ruhig zu. Er drehte sich um, und auf dem Weg zu seiner Kajüte befahl er seinen Matrosen, sie sollten ihre Stationen wieder einnehmen.
* * *
Er erinnerte sich an die wunderbar faulen Sommertage am Ufer vom Maer Dualdon in Eiswindtal. Wie viele Stunden hatte er dort verbracht, versucht, die schwer zu fangenden Knöchelkopfforellen zu angeln, oder sich einfach in der in Eiswindtal so seltenen Wärme der Sommersonne geaalt. Wenn Regis auf seine Jahre in Zehn-Städte zurückblickte, konnte er den Verlauf, den sein Schicksal jetzt genommen hatte, kaum fassen.
Er hatte geglaubt, seine Nische, ein behagliches Leben mit dem einträglichen Beruf des Schnitzers gefunden zu haben, der die elfenbeingleichen Knochen der Knöchelkopfforelle in wunderschöne kleine Schmuckstücke verwandeln konnte, ein Leben, das mit der Hilfe des gestohlenen Rubinanhängers noch behaglicher wurde. Aber dann war der verhängnisvolle Tag gekommen, als Artemis Entreri in Bryn Shander auftauchte, in der Stadt, die Regis im Laufe der Zeit immer mehr als seine Heimat angesehen hatte. Hals über Kopf hatte sich der Halbling davongemacht und war seinen Freunden gefolgt, die sich in ein Abenteuer begeben hatten.
Aber nicht einmal Drizzt, Bruenor, Catti-brie und Wulfgar waren in der Lage gewesen, ihn vor Entreri zu schützen.
Die Erinnerungen trösteten ihn ein wenig in den vielen grausamen Stunden der Einsamkeit in der verriegelten Kabine. Regis hätte sich am liebsten vollständig in die angenehmen Erinnerungen seiner Vergangenheit vergraben, aber immer wieder kehrten seine Gedanken in die schreckliche Gegenwart zurück, und immer wieder fragte er sich, welche Bestrafung ihm für seine mißlungene Täuschung bevorstand. Entreri war nach dem Zwischenfall auf dem Deck gelassen, ja sogar belustigt gewesen. Er hatte Regis in die Kabine gebracht und war, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wieder verschwunden.
Zu gelassen, fand Regis.
Aber das gehörte zu seinem rätselhaften Wesen. Niemand kannte Artemis Entreri gut genug, um ihn als Freund bezeichnen zu können, und kein Feind hatte die Möglichkeit, sich ein annähernd ausreichendes Bild von diesem Mann zu machen.
Regis wich an die Wand zurück, als Entreri schließlich zurückkehrte. Er rauschte durch die Tür auf den Tisch zu und würdigte den Halbling lediglich eines schnellen Seitenblickes. Der Meuchelmörder nahm Platz, strich sich das pechschwarze Haar zurück und sah auf die Kerze, die auf dem Tisch brannte.
»Eine Kerze«, murmelte er belustigt. Er sah Regis an. »Du hast schon Eigenarten, Halbling«, kicherte er.
Regis lächelte nicht. Entreris Herz war sicher nicht plötzlich von Wärme erfüllt worden, und er wäre verdammt, wenn er die fröhliche Maske des Meuchelmörders heruntergerissen hätte.
»Ein ehrenwerter Zeitvertreib«, fuhr Entreri fort, »und so wirkungsvoll. Es kann eine Woche dauern, bis wir in Baldurs Tor ein anderes Schiff in den Süden bekommen. Eine zusätzliche Woche für deine Freunde, um wieder etwas aufzuholen. Ich habe nicht gedacht, daß du so mutig bist.«
Das Lächeln verschwand ganz plötzlich aus Entreris Gesicht, und seine Stimme war unüberhörbar voller Grausamkeit, als er hinzufügte: »Ich hätte nicht geglaubt, daß du so bereitwillig die Folgen auf dich nehmen würdest.«
Regis neigte den Kopf, um jede Bewegung des Mannes zu verfolgen. »Jetzt kommt es«, flüsterte er.
»Natürlich wird deine Tat Folgen für dich haben, du kleiner Narr.
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