Die vergessenen Welten 05 - Der magische Stein
mit der Faust gegen die Brust. Als er sein Gewicht verlagerte, ließ ihn ein stechender Schmerz am Gesäß zusammenzucken.
»Ein Armbrustgeschoß«, erklärte Alustriel.
Bruenor dachte einen Augenblick nach. Daran fehlte ihm jede Erinnerung, obwohl er von seiner Flucht aus der Unterstadt ansonsten alles wußte. Er zog die Schultern hoch und erklärte sich seine Gedächtnislücke damit, daß er im Eifer des Gefechts schmerzunempfindlich gewesen war. »Also hat mich einer von diesem dunklen Abschaum doch noch erwischt ...«, begann er, aber dann errötete er und wandte die Augen ab, als er daran dachte, daß diese Frau ihm das Geschoß aus dem Gesäß entfernt hatte.
Alustriel war taktvoll genug, das Thema zu wechseln. »Iß und ruh dich aus«, wies sie ihn an. »Deine Freunde sind in Sicherheit... jedenfalls zur Zeit.«
»Wo...«
Alustriel unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Mein Wissen in dieser Angelegenheit ist unzureichend«, erklärte sie. »Du wirst früh genug eine Antwort finden. Morgen früh bringe ich dich nach Langsattel, wo sich Catti-brie aufhält. Sie kann dir mehr erzählen als ich.«
Bruenor wäre am liebsten unverzüglich aufgebrochen. Er hatte das Mädchen einst nach einem Goblinüberfall in den Ruinen aufgelesen und wie seine Tochter aufgezogen. Er wollte sie an sich drücken und ihr sagen, daß alles in Ordnung sei. Aber er erinnerte sich daran, daß er nicht geglaubt hatte, Catti-brie je wiederzusehen, und daher würde er auch eine weitere Nacht ohne sie aushalten können.
Jegliche Befürchtung, daß er von gespannter Unruhe heimgesucht werden könnte, löste sich nur wenige Minuten, nachdem er sein Mahl beendet hatte, in die Ruhe eines erschöpften Schlafes auf. Alustriel wachte über ihn, bis sein zufriedenes Schnarchen durch ihre magische Zufluchtsstätte hallte.
Beruhigt, da nur ein gesunder Schläfer so laut schnarchen konnte, lehnte sich die Herrscherin von Silbrigmond gegen die Wand und schloß die Augen.
Es waren drei lange Tage gewesen.
Bruenor beobachtete verwundert, wie sich beim ersten Licht der Dämmerung das Haus um ihn herum auflöste, als hätte die Dunkelheit der Nacht das Material für diesen Bau zur Verfügung gestellt. Er drehte sich zu Alustriel um und wollte ihr etwas sagen, sah aber, daß sie in einen Zauberspruch vertieft war. Sie blickte zum Himmel empor, der sich zu röten begann, und streckte ihre Hände aus, als versuchte sie, die Sonnenstrahlen zu fangen.
Sie ballte die Hände, führte sie an ihren Mund und flüsterte den Zauber in sie hinein. Dann warf sie das eingefangene Licht vor sich auf den Boden und rief die letzten Worte ihres Zaubers: »Equine aflame!« Eine rotglühende Kugel schlug auf die Steine und entlud sich in einem Feuerregen, der sich gleich darauf in einen lodernden Streitwagen und zwei Pferde verwandelte. Ihre Umrisse bewegten sich mit dem Feuer, das ihnen ihre Gestalt verlieh, aber sie sengten keinen Grashalm am Boden an.
»Such deine Sachen zusammen«, wies die Herrscherin Bruenor an. »Es ist Zeit zum Aufbruch.«
Bruenor blieb einen Augenblick regungslos stehen. Er hatte Magie noch nie geschätzt, abgesehen von der Magie, mit der Waffen und Rüstungen verstärkt wurden, aber andererseits hatte er auch nie ihren möglichen Nutzen geleugnet. Er sammelte seine Ausrüstung zusammen, verschwendete keine Zeit, die Rüstung anzuziehen, und trat zu Alustriel hinter den Wagen. Er folgte ihr etwas zaghaft in das Gefährt hinein, aber es brannte nicht, sondern fühlte sich so fest an wie Holz.
Alustriel nahm einen der Zügel aus Feuer in die schlanke Hand und rief den Pferden etwas zu. Mit einem Satz wurden sie in den Morgenhimmel befördert, schwenkten westlich um das Gebirge herum und preschten dann gen Süden.
Der Zwerg war wie gelähmt. Er ließ seine Ausrüstung vor seine Füße fallen, während sein Kinn fast auf die Brust rutsch te, und klammerte sich an der Seite des Streitwagens fest. Unter ihm zogen die Berge dahin. Er sah die Ruinen von Siedelstein, der uralten Zwergenstadt, die jetzt tief unter ihnen lag, und nur eine Sekunde später schon weit hinter ihnen. Der Wagen schoß über das offene Grasland und dann westlich am nördlichen Rand des Trollmoors entlang. Bruenor hatte sich inzwischen so weit erholt, daß er einen Fluch ausstoßen konnte, als sie über die Stadt Nesme flogen, da er sich an die unfreundliche Behandlung erinnerte, die ihm und seinen Freunden von einer Patrouille dieser Stadt zuteil geworden war. Sie
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