Die vergessenen Welten 05 - Der magische Stein
tiefer werdende Dunkelheit plötzlich in einem anderen Licht sah. »Nachtzeit«, sagte er laut.
Die Zeit des Meuchelmörders.
Eine schlichte braune Verpackung
Das einfache Holzgebäude am Ende der Gaunergasse wirkte selbst für dieses baufällige Viertel in Calimhafen betont unauffällig. Die wenigen Fenster waren mit Brettern vernagelt oder vergittert, und es gab weder eine Terrasse noch einen Balkon. Außerdem wies das Gebäude keine Beschriftung und nicht einmal eine Hausnummer auf. Aber jeder in der Stadt kannte es und merkte es sich gut, denn hinter den eisenbeschlagenen Türen veränderte sich der Eindruck schlagartig. Während die Fassade nur das verwitterte Braun von altem Holz zeigte, beeindruckte das Innere durch eine Vielfalt von leuchtenden Farben, Gobelins, dicken, geknüpften Teppichen und Statuen aus purem Gold. Hier war die Diebesgilde untergebracht, und ihre Residenz konnte es mit dem Herrscherpalast an Reichtum und Ausstattung aufnehmen.
Von der Straße aus waren nur drei Stockwerke sichtbar, aber zwei weitere waren im Keller verborgen. Das oberste war mit fünf Zimmern das schönste — es bestand aus einem achteckigen mittleren Saal und vier Vorräumen, die von ihm abzweigten und alles war nur für das Wohlergehen und die Bequemlichkeit eines einzigen Mannes eingerichtet: für Pascha Pook. Er war der Vorsteher der Diebesgilde, der Schöpfer einer komplizierten Verbrecherorganisation. Und er vergewisserte sich stets, daß er als erster in den Genuß der Früchte ihrer Arbeit kam.
Pook schritt in der mittleren Halle des obersten Stockwerks, seinem Empfangssaal, auf und ab. Nach jeder Runde hielt er an und strich über das glänzende Fell des Leoparden, der neben seinem großen Sessel lag. Eine merkwürdige Besorgnis war in das runde Gesicht des Vorstehers eingegraben, und er spielte nervös mit den Fingern, wenn er nicht gerade sein exotisches Lieblingstier streichelte.
Seine Kleidung war aus feinster Seide, aber abgesehen von einer Brosche, die seine Gewänder zusammenhielt, trug er keines der zahlreichen Schmuckstücke, die bei anderen Vertretern seines Standes normalerweise zu sehen waren — abgesehen von seinen Zähnen. Sie waren aus purem Gold. Pook wirkte eher wie die halbgroße Ausgabe eines der vier Eunuchen, allesamt Bergriesen, die die Halle säumten — seine Erscheinung war recht unauffällig für einen redegewandten Gildenvorsteher, der Sultane auf die Knie gezwungen hatte und dessen Name allein schon den brutalsten aller Grobiane, die in den Straßen zu Hause waren, in dunkle Löcher huschen ließ.
Pook zuckte fast zusammen, als ein lautes Klopfen an der Haupttür erscholl, die zu den unteren Etagen rührte. Er zögerte einen langen Augenblick und redete sich ein, daß sich der andere Mann wegen der Wartezeit krümmte — obwohl er es eigentlich war, der die Zeit brauchte, um sich zu sammeln. Schließlich gab er geistesabwesend einem Eunuchen ein Zeichen, bewegte sich zu dem hochgepolsterten Thron gegenüber der Tür und fuhr mit einer Hand wieder über seine verwöhnte Katze.
Ein schlaksiger Krieger trat ein, dessen schmales Rapier im Takt zu seinem stolzen Gang hin und her schwang. Er trug einen schwarzen Umhang, der am Hals zusammengebunden war und hinter ihm her wallte. Sein dickes braunes Haar verschwand zum Teil unter dem Kragen oder kräuselte sich darüber. Seine Kleidung war dunkel und einfach; Gurte und Gürtel waren über sie gebunden, von denen ein Beutel und ein Dolch oder eine ähnliche, ungewöhnliche Waffe hingen. Seine hohen, völlig abgetragenen Lederstiefel gaben nur das Geräusch seiner regelmäßigen raschen Schritte wieder.
»Ich grüße dich, Pook«, begann er ungezwungen.
Pooks Augen verengten sich sofort bei dem Anblick des Mannes. »Rassiter«, erwiderte er der Werratte.
Rassiter ging auf den Thron zu und verbeugte sich halbherzig, während er dem liegenden Panther einen Blick voller Wi derwillen zuwarf. Mit einem hastigen, verkommenen Lächeln, das seine niedrige Herkunft verriet, stellte er einen Fuß auf den Stuhl und beugte sich vor, um den Gildenvorsteher seinen warmen Atem spüren zu lassen.
Pook blickte erst auf den schmutzigen Stiefel auf seinem wunderschönen Stuhl und dann mit einem derart entwaffnenden Lächeln auf den Mann, daß es selbst dem ungeschlachten Rassiter auffiel. In jäher Erkenntnis, daß er bei seinem Partner mit seiner Vertraulichkeit zu weit gegangen war, nahm Rassiter den Fuß wieder weg und trat einen Schritt
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