Die vergessenen Welten 05 - Der magische Stein
Catti-brie schnell. »Noch nicht. Drizzt und Wulfgar sind ihnen in den Süden gefolgt, weil sie wissen, daß sein Ziel Calimhafen ist.«
»Ein weiter Weg«, murmelte Bruenor. Er sah Catti-brie verwirrt an. »Aber ich war mir sicher, daß du bei ihnen bist.«
»Ich habe ein anderes Ziel«, erwiderte Catti-brie, und ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. »Eine Schuld, die es zurückzuzahlen gilt.«
Bruenor verstand sie sofort. »Mithril-Halle?« würgte er. »Du wolltest zurückkehren, um mich zu rächen?«
Catti-brie nickte ungerührt.
»Du bist verrückt, Mädchen!« sagte Bruenor. »Und der Dunkelelf hätte dich allein ziehen lassen?«
»Allein?« wiederholte Catti-brie. Nun war es an der Zeit, den rechtmäßigen König zu informieren. »Nein, so töricht bin ich auch nicht, mein Leben so zu beenden. Einhundert Verwandte sind auf dem Weg aus dem Norden und aus dem Westen«, berichtete sie ihm, »mit einer ansehnlichen Zahl von Wulfgars Leuten an ihrer Seite.«
»Das reicht nicht«, erwiderte Bruenor. »Eine ganze Armee von diesem Duergarabschaum hat sich in den Hallen breitgemacht.«
»Und achttausend Mann von der Zitadelle Adbar aus dem Norden und Osten«, fuhr Catti-brie grimmig fort, ohne den Faden zu verlieren. »König Habromm von Adbar hat versprochen, daß er sich darum kümmert, daß die Hallen befreit werden! Und auch die Harpells haben ihre Hilfe zugesagt.«
Bruenor stellte sich die anrückenden Armeen vor — Zauberer, Barbaren, ein sich dahinwälzendes Meer von Zwergen —, und Catti-brie an ihrer Spitze. Ein dünnes Lächeln verbannte den finsteren Ausdruck von seinem Gesicht. Er sah zu seiner Tochter auf, und in seinem Blick zeigte sich mehr als nur Achtung, wie er sie ihr stets erwiesen hatte. Seine Augen füllten sich wieder mit Tränen.
»Sie hätten mich nicht geschlagen«, fauchte Catti-brie. »Mein Ziel war es, deine gemeißelte Büste in der Halle der Könige zu sehen und deinen Namen an einem angemessenen Ehrenplatz anbringen zu lassen!«
Bruenor ergriff sie und drückte sie mit ganzer Kraft an sich. Von allen Titeln und Lorbeeren, die er in den zurückliegenden Jahren erhalten hatte und die er in den kommenden Jahren noch erhalten würde, paßte nichts so gut oder freute ihn mehr als ›Vater‹.
* * *
Von Ernst erfüllt stand Bruenor an diesem Abend am südlichen Hang des Hügels und betrachtete die letzten verblas senden Farben am westlichen Himmel und die Leere der hügeligen Ebene im Süden. Seine Gedanken waren bei seinen Freunden, insbesondere bei Regis, Knurrbauch, dem lästigen Halbling, der unbestreitbar eine weiche Stelle im harten Herzen des Zwerges gefunden hatte.
Mit Drizzt würde alles in Ordnung sein — mit Drizzt war immer alles in Ordnung —, und mit dem mächtigen Wulfgar an seiner Seite mußte schon eine ganze Armee anrücken, um sie zur Strecke zu bringen.
Aber Regis.
Bruenor hatte nie daran gezweifelt, daß der Halbling mit seiner sorglosen Lebenseinstellung einmal so tief im Dreck stecken würde, daß er mit seinen kurzen Beinen nicht mehr herauskäme. Knurrbauch war ein Narr gewesen, daß er den Rubinanhänger des Vorstehers der Diebesgilde gestohlen hatte.
Aber einfach zu sagen ›verdienter Lohn‹, brachte nichts, sein Mitgefühl für die Notlage seines Freundes oder seine Wut über seine Unfähigkeit, ihm zu helfen, zu zerstreuen. Er war der König von Mithril-Halle, und sein Platz war hier. Er würde die Armeen, die sich gesammelt hatten, ruhmreich in den Sieg führen, die Duergar zermalmen und in Mithril-Halle wieder Wohlstand einführen. Sein neues Königreich würde den ganzen Norden vor Neid erblassen lassen, und die herrlich geschmiedeten Kunstwerke würden es mit den Arbeiten aus alten Zeiten aufnehmen können und würden ihren Weg überall hin in die Welten finden.
Das war sein Traum gewesen, sein Lebensziel seit dem schrecklichen Tag vor zweihundert Jahren, als die Sippe Heldenhammer beinahe ausgelöscht und die wenigen Überlebenden, überwiegend Kinder, aus ihrer Heimat in die mageren Minen von Eiswindtal vertrieben worden waren.
Bruenors lebenslanger Traum war diese Rückkehr gewesen, aber wie hohl kam ihm dieser Traum jetzt vor, da sich seine Freunde auf einer verzweifelten Jagd durch den Süden befanden.
Das letzte Tageslicht schwand am Himmel, und die Sterne funkelten. Nachtzeit, dachte Bruenor und spürte ein wenig Trost.
Die Zeit des Dunkelelfen.
Doch die ersten Anzeichen eines Lächelns lösten sich wieder auf, als Bruenor die
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