Die vergessenen Welten 07 - Das Vermächtnis
doch das war angesichts dieser Demonstration seiner Schwester ein schwaches Argument.
Vierna beäugte ihn und lachte böse, fast schnurrend, als sie sich vorbeugte, um einen der Köpfe zu küssen.
»Warum jagen wir dann Drizzt?« fragte Dinin sie. »Ihr steht wieder in Lloths Gunst. Warum sollen wir alles riskieren, indem wir unseren verräterischen Bruder verfolgen?«
»So habe ich die Gunst wiedererlangt!« schrie ihn Vierna an. Sie trat einen Schritt vor, und Dinin wich klugerweise zurück. Er erinnerte sich an frühere Tage im Haus Do'Urden, als ihn seine älteste und bösartigste Schwester Briza häufig mit einer dieser gefürchteten schlangenköpfigen Peitschen gepeinigt hatte.
Vierna beruhigte sich jedoch sofort wieder und wandte sich ihrem dunklen, mit (lebenden und gemeißelten) Spinnen bedeckten Altar zu. »Unsere Familie fiel durch die Schwäche der Oberin Malice«, erklärte sie. »Malice versagte bei der wichtigsten Aufgabe, die ihr Lloth jemals gab.«
»Drizzt zu töten«, meinte Dinin.
»Ja«, sagte Vierna einfach und blickte über die Schulter, um ihren Bruder anzusehen. »Drizzt zu töten, den elenden, verräterischen Drizzt. Ich habe Lloth sein Herz versprochen, ihr versprochen, daß ich den Fehler der Familie wiedergutmachen werde, auf daß wir - Ihr und ich - wieder die Gunst der Göttin erlangen mögen.«
»Zu welchem Zweck?« drängte es Dinin zu fragen, während er die unscheinbare Kapelle mit offensichtlicher Verachtung musterte. »Unser Haus existiert nicht mehr. Der Name Do'Urden darf nirgends in der Stadt mehr ausgesprochen werden. Was werden wir dadurch gewinnen, wenn wir wieder in Lloths Gunst stehen? Ihr werdet eine Hohepriesterin sein, und darüber bin ich froh, aber Ihr werdet kein Haus besitzen, dem Ihr vorstehen könnt.«
»Aber das werde ich«, erwiderte Vierna mit blitzenden Augen. »Ich bin, ebenso wie Ihr, die überlebende Adlige eines vernichteten Hauses. Wir haben das Recht der Anklage.«
Dinins Augen weiteten sich. Rein theoretisch hatte Vierna recht; das Recht der Anklage war ein Privileg für überlebende adlige Nachkommen eines vernichteten Hauses, die durch die Nennung ihrer Angreifer das ganze Gewicht der Drowgerechtigkeit auf die schuldige Partei herniederkommen lassen konnten. In den allgegenwärtigen Hinterzimmerintrigen des chaotischen Menzoberranzan wurde Gerechtigkeit jedoch nur in ausgewählten Fällen ausgeübt.
»Anklage?« stammelte Dinin, der kaum dazu in der Lage war, mit seinem plötzlich sehr trockenen Mund das Wort zu formen. »Habt Ihr vergessen, welches Haus es war, das unser eigenes vernichtet hat?«
»Dadurch wird es nur um so süßer«, schnurrte seine sture Schwester.
»Baenre!« schrie Dinin. »Haus Baenre, das Erste Haus von Menzoberranzan! Ihr könnt nicht gegen Baenre sprechen. Kein Haus wird, weder allein noch mit Verbündeten, gegen sie vorgehen, und Oberin Baenre kontrolliert die Akademie. Wodurch soll sich Eure Gerechtigkeit behaupten?«
»Und was ist mit Bregan D'aerthe?« setzte Dinin nach einer Weile hinzu. »Die gleiche Söldnerbande, die uns aufgenommen hat, half dabei, unser Haus zu besiegen.« Dinin brach abrupt ab, als er die Bedeutung seiner eigenen Worte erkannte und über diesen Widersinn, die grausame Ironie der Drowgesellschaft, staunte.
»Ihr seid ein Mann und könnt Lloths Schönheit nicht verstehen«, erwiderte Vierna. »Unsere Göttin ernährt sich vom Chaos und genießt diese Situation um so mehr, da so viele Ironien darin wüten.«
»Die Stadt wird nicht gegen das Haus Baenre in den Krieg ziehen«, sagte Dinin tonlos.
»Dazu wird es nicht kommen!« schnauzte Vierna zurück, und erneut sprang jenes wilde Blitzen in ihre Augen. »Oberin Baenre ist alt, mein Bruder. Ihre Zeit ist schon lange überschritten. Wenn Drizzt tot ist, wie es die Spinnenkönigin verlangt, wird man mir eine Audienz im Haus Baenre gewähren, bei der ich... bei der wir die Anklage erheben werden.«
»Dann wird man uns an Baenres Goblinsklaven verfüttern«, erwiderte Dinin trocken.
»Oberin Baenres eigene Töchter werden sie hinausdrängen, damit ihr Haus nicht die Gunst der Spinnenkönigin verliert«, fuhr Vierna erregt fort und ignorierte ihren zweifelnden Bruder. »Um das zu erreichen, werden sie mir die Kontrolle übergeben.«
Dinin konnte kaum Worte finden, um Viernas widersinnige Ansprüche zu widerlegen.
»Denkt darüber nach, mein Bruder«, fuhr Vierna fort. »Stellt Euch vor, wie Ihr an meiner Seite steht und ich dem Ersten
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