Die vergessenen Welten 08 - Nacht ohne Sterne
früheren Selbst vor, ein dahinwelkender alter Zwerg, der darauf wartete, bald zu sterben. Sie wollte ihn nicht so sehen, wollte nicht solch ein Bild von Bruenor mit sich in das Unterreich nehmen.
Sie hob ihre Hand, um an Bruenors Wohnzimmer zu klopfen, öffnete dann jedoch statt dessen die Tür vorsichtig einen Spaltbreit und lugte hinein. Sie sah einen Zwerg, der neben der Feuerstelle stand, aber es war nicht Bruenor. Thibbledorf Pwent, der Schlachtenwüter, hüpfte im Kreis herum und versuchte anscheinend, eine lästige Fliege zu erwischen. Er trug (wie immer) seine scharfkantige Rüstung, komplett mit Handschuhnägeln und Dornen an Knien und Ellbogen und weiteren tödlichen Spitzen, die an jeder nur möglichen Stelle von ihm abstanden. Die Rüstung quietschte, als der Zwerg sprang und sich drehte; ein äußerst entnervendes Geräusch, fand Catti-brie. Pwents offener grauer Helm lag neben ihm auf einem Stuhl, und der Stachel auf seiner Spitze war halb so lang wie der Zwerg selbst. Da er ihn abgesetzt hatte, konnte Catti-brie sehen, daß der Schlachtenwüter fast kahl war. Die verbliebenen dünnen Haarsträhnen klebten fettig an den Seiten seines Kopfes und gingen dann in einen gewaltigen schwarzen Bart über.
Catti-brie schob die Tür ein wenig weiter auf und sah Bruenor vor dem herabgebrannten Feuer sitzen, wo er geistesabwesend versuchte, einen Holzscheit herumzudrehen, so daß seine Glut wieder hochflammen konnte. Sein halbherziges Stochern an dem glimmenden Scheit ließ Cattibrie zusammenzucken. Sie erinnerte sich an die Tage, die noch gar nicht so lange zurücklagen, an denen der ungestüme König einfach in den Kamin gelangt hätte, um den hartnäckigen Holzklotz mit der bloßen Hand zu wenden.
Mit einem Blick zu Pwent (der etwas aß, von dem Catti-brie
innig hoffte, daß es keine Fliege war) betrat die junge Frau den Raum, wobei sie rasch ihren Umhang überprüfte, ob er auch alles, was sie bei sich trug, verdeckte.
»Hallo, da!« heulte Pwent im Kauen. Größer noch als ihre Abscheu bei dem Gedanken, daß er möglicherweise eine Fliege aß, war Catti-bries Erstaunen darüber, wie sehr er daran herumkauen konnte!
»Du solltest dir einen Bart anschaffen!« rief der Schlachtenwüter seine übliche Begrüßung. Von ihrer ersten Begegnung an hatte der schmutzige Zwerg Catti-brie gesagt, daß sie wirklich eine hübsche Frau sein könnte, wenn sie sich bloß einen Bart wachsen ließe.
»Ich arbeite daran«, erwiderte Catti-brie und war ehrlich froh über das oberflächliche Geplänkel. »Du hast mein Wort, daß ich mein Gesicht seit dem Tag, an dem wir uns getroffen haben, nicht rasiert habe.« Sie tätschelte dem Schlachtenwüter den Kopf, nur um es sofort zu bereuen, als sie einen fettigen Film an ihrer Hand spürte.
»Du bist ein gutes Mädchen«, erwiderte Pwent. Er erspähte ein weiteres herumschwirrendes Insekt und machte sich hüpfend an die Verfolgung.
»Wo gehst du hin?«, fragte Bruenor scharf, noch bevor Catti-brie ihn auch nur begrüßen konnte.
Catti-brie seufzte beim Anblick des finsteren Blickes ihres Vaters. Wie sehr sie sich wünschte, Bruenor wieder lächeln zu sehen! Catti-brie bemerkte die Beule an Bruenors Stirn, deren aufgeschrammter Teil nun allmählich verschorfte. Es war ihr berichtet worden, daß er vor ein paar Nächten einen Wutanfall gehabt hatte, bei dem er tatsächlich eine schwere Holztür mit dem Kopf durchbrochen hatte, während zwei erschreckte junge Zwerge versucht hatten, ihn zurückzuhalten. In Verbindung mit der auffälligen Narbe, die von der Stirn über die Höhlung, wo sich einst ein Auge befunden hatte, bis zum Kinn verlief, ließ die Beule den alten Zwerg wirklich zerschunden aussehen!
»Wo gehst du hin?« fragte Bruenor noch einmal.
»Siedelstein«, log die junge Frau und nannte damit die Stadt
der Barbaren, die sich am Fuße des Berges unter dem östlichen Ausgang von Mithril-Halle befand. »Wulfgars Stamm errichtet einen Totenhügel zu seiner Erinnerung.« Catti-brie war ein wenig überrascht darüber, wie leicht ihr die Lüge fiel; sie war immer in der Lage gewesen, Bruenor um den Finger zu wickeln und hatte oft Halbwahrheiten und Wortverdrehungen benutzt, um die schroffe Wahrheit zu umgehen, aber noch nie hatte sie ihn so bewußt angelogen.
Sie erinnerte sich daran, wie wichtig dies alles war, und sah
dem rotbärtigen Zwerg in die Augen, als sie fortfuhr. »Ich will dort sein, bevor sie mit dem Bau beginnen. Wenn sie es tun, sollen sie es richtig
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