Die vergessenen Welten 08 - Nacht ohne Sterne
Südwesten. Drizzt und Wulfgar hatten den Ort bereits lange zuvor verlassen und waren auf dem Weg nach Süden, um Regis zu suchen, der von dem Meuchelmörder Entreri entführt worden war.
Damals hatte Alustriel Bruenor das Medaillon gegeben. In ihm war ein winziges Porträt von Drizzt, und mit seiner Hilfe konnte der Zwerg Drizzts Aufenthaltsort ungefähr bestimmen. Die richtige Richtung und Entfernung von Drizzt wurde durch die Intensität der magischen Wärme bestimmt, die das
Medaillon ausstrahlte.
Jetzt war das metallene Schmuckstück kalt, kühler als die Luft im Raum, und Catti-brie hatte das Gefühl, daß Drizzt bereits weit von ihr entfernt war.
Sie öffnete das Medaillon und betrachtete das lebensechte Abbild ihres Drowfreundes. Sie überlegte, ob sie es mitnehmen sollte. Mit Guenhwyvar war sie höchstwahrscheinlich in der Lage, Drizzt auch so zu finden, wenn sie erst seine Spuren entdeckt hatte, und im Innersten hoffte sie, daß das Feuer in Bruenors Augen zurückkehren würde, wenn er von Regis die Wahrheit erfuhr, und daß er ihnen nachstürmen würde.
Catti-brie mochte die Vorstellung, daß Bruenor so reagieren könnte, sie wollte auch wirklich, daß ihr Vater ihr zu Hilfe eilen und Drizzt retten würde, aber ihr war klar, daß das die Hoffnung eines Kindes war: unrealistisch und vor allem äußerst gefährlich.
Also schloß sie das Medaillon und nahm es fest in die Hand. Sie huschte aus Bruenors Schlafgemach und durch sein Wohnzimmer, wo der rotbärtige Zwerg noch immer vor dem Feuer saß und mit seinen Gedanken eine Million Meilen entfernt war. Dann eilte sie hastig durch die Gänge der oberen Ebenen, da ihr bewußt war, daß sie möglicherweise den Mut verlieren würde, wenn sie sich nicht bald auf den Weg machte.
Draußen betrachtete sie das Medaillon noch einmal. Sie wußte, daß sie jede Chance, daß Bruenor ihr folgen konnte, unterband, wenn sie das Schmuckstück mitnahm. Sie war dann vollständig auf sich allein gestellt.
So mußte es auch sein, beschloß Catti-brie, legte sich die Kette um und ging den Berg hinab. Sie hoffte, daß sie Silbrigmond nicht allzulange nach Drizzt erreichen würde.
* * *
Er huschte so leise und unauffällig, wie er nur konnte, durch die Straßen von Menzoberranzan, und seine wärmesehenden Augen glühten rubinrot. Alles, was er wollte, war, zurück zu Jarlaxles Basis zu gelangen, zurück zu dem Drow, der seinen Wert kannte.
»Waela rivvil!« erscholl neben ihm ein schriller Ruf.
Er blieb abrupt stehen und lehnte sich müde an einen Haufen zerbrochener Steine nahe einem unbewohnten Stalagmitenhügel. Er hatte diese Worte schon oft gehört - immer diese beiden Worte, die mit offenem Hohn ausgesprochen wurden.
» Waela rivvil!« sagte die Drowfrau erneut und bewegte sich auf ihn zu. In ihrer Hand trug sie einen braunroten Tentakelstab, dessen acht Fuß lange Arme sich aus eigenem Antrieb eifrig bewegten, als wollten sie aus eigener Bösartigkeit vorpeitschen und ihn schlagen. Zumindest trug die Frau keine dieser Peitschen mit Fängen, dachte er und bezog sich damit auf die mit Schlangenköpfen versehenen, vielschwänzigen Peitschen, die viele der höherrangigen Drowpriesterinnen benutzten.
Er versuchte nicht, ihr zu trotzen, als sie sich vor ihm aufbaute, sondern senkte respektvoll die Augen, wie Jarlaxle es ihn gelehrt hatte. Er vermutete, daß auch sie versuchte, sich unbemerkt durch die Straßen zu bewegen. Warum sonst sollte eine Drowfrau, die über genug Macht verfügte, einen jener üblen Stäbe zu besitzen, durch die Gassen dieses ärmeren Teils von Menzoberranzan schleichen?
Sie stieß mit ihrer melodiösen Stimme eine Reihe von Drowworten hervor, die zu schnell an dem Neuling vorbeirauschten, als daß er sie hätte verstehen können. Er schnappte die Worte quarth, »befehlen«, und harl'il'cik, »knien« auf, denn die hatte er bereits erwartet. Man befahl ihm stets, sich hinzuknien.
Folgsam ließ er sich sofort zu Boden, obwohl der Fall auf den harten Stein seinen Knien Schmerz bereitete.
Die Drowfrau ging langsam um ihn herum und gestattete ihm einen langen Blick auf ihre wohlgeformten Beine. Sie zog sogar seinen Kopf zurück, so daß er in ihr unbestreitbar wunderschönes Gesicht blicken konnte, während sie ihren Namen schnurrte: »Jerlys.«
Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihn küssen, schlug ihm dann aber statt dessen scharf ins Gesicht. Sofort fuhren seine Hände zu Schwert und Dolch, aber er beruhigte sich und erinnerte sich an
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