Die vergessenen Welten 09 - Brüder des Dunkels
eigentlich bereits aus dem Hause sein, vielleicht als eine Oberin der Akademie oder, noch wahrscheinlicher, als Oberin Mutter ihres eigenen, geringeren Hauses. Oberin Baenre hatte dies jedoch nicht zugelassen, da sie befürchtete, daß ihre Tochter, der es selbst nach den Maßstäben der Drow sehr an Zivilisiertheit mangelte, Schande über das Haus Baenre bringen würde.
Triel blickte auf und schüttelte jedesmal verächtlich den Kopf über Bladen'Kerst, wenn diese an ihr vorbeikam. Sie verschwendete kaum einen Gedanken an sie. Wie Vendes Baenre, ihre jüngste Schwester, die von Drizzt Do'Urden während seiner Flucht getötet worden war, so war auch Bladen'Kerst nur ein Instrument der Folterkünste ihrer Mutter und nicht mehr. Sie war ein Hanswurst, ein Schaustück, und sie stellte für niemanden im Haus Baenre oberhalb des Ranges eines einfachen Soldaten eine Bedrohung dar.
Quenthel war da schon eine andere Sache, und in den langen Zeiträumen, bis Bladen'Kerst wieder vor ihr auftauchte, verließ Triels ernster und prüfender Blick sie nie.
Und Quenthel erwiderte diesen Blick mit offener Feindseligkeit. Sie war in unglaublich schneller Zeit zum Rang einer Hohepriesterin aufgestiegen, und alle waren sich einig, daß sie Lloths höchste Gunst besaß. Quenthel gab sich keinen Illusionen über die Unsicherheit ihrer Position hin; besäße sie nicht diese Gunst, so hätte Triel sie bereits vor langer Zeit ausgelöscht. Denn Quenthel hatte ihre Ambitionen nie verheimlicht, und zu denen gehörte als Trittbrett der Posten der Leitenden Oberin von Arach-Tinilith, und Triel hatte nicht vor, diesen Rang aufzugeben.
»Setz dich hin!« herrschte Oberin Baenre die lästige Bladen'Kerst schließlich an. Eines von Baenres Augen war zugeschwollen, und an der Seite ihres Gesichts zeigte noch immer ein Bluterguß an, wo sie gegen die Wand geprallt war. Sie war es nicht gewohnt, solche Zeichen zu tragen, ebensowenig wie andere es gewohnt waren, sie damit zu sehen. Normalerweise hätte ein Heilzauber ihr Gesicht in Ordnung gebracht, aber dies waren keine normalen Zeiten.
Bladen'Kerst blieb stehen und starrte ihre Mutter intensiv an, wobei sie sich auf diese Wunden fixierte. Sie stellten ein zweischneidiges Signal dar. Als erstes zeigten sie an, daß Baenres Kräfte nicht das waren, was sie sein sollten, daß die Oberin Mutter, daß sie alle sehr verwundbar sein konnten. Zweitens spiegelten diese Wunden in Verbindung mit dem finsteren Blick, der ständig das Gesicht der Oberin Mutter bewölkte, Ärger wider.
Der Ärger hatte mehr Gewicht als die erkannte und wahrscheinlich nur zeitweise Verwundbarkeit, entschied Bladen'Kerst klugerweise und setzte sich auf den ihr zugewiesenen Stuhl. Ihre festen Stiefel, die für Drow ungewöhnlich waren, aber sehr nützlich, um damit Männer zu treten, tippten hart und drängend auf den Boden.
Es schenkte ihr jedoch niemand seine Aufmerksamkeit. Alle folgten Oberin Baenres voraussehbarem, gefährlichem Blick zu Quenthel.
»Jetzt ist nicht die Zeit für persönliche Ambitionen«, sagte Oberin Baenre ruhig und ernst.
Quenthels Augen weiteten sich, als wäre sie völlig überrascht worden.
»Ich warne Euch«, beharrte Oberin Baenre, die sich von dem unschuldigen Gesichtsausdruck nicht beeindrucken ließ.
»Und ich ebenso!« warf Triel schnell und entschieden ein. Gewöhnlich würde sie ihre Mutter nie unterbrechen, dazu war sie zu klug, aber sie war der Überzeugung, daß diese Angelegenheit ein für allemal geklärt werden mußte und daß Baenre ihre Unterstützung zu schätzen wissen würde. »Ihr habt Euch all diese Jahre darauf verlassen, daß Lloths Gunst Euch schützen würde. Aber aus einem Grund, den wir nicht kennen, hat Lloth uns jetzt verlassen. Ihr seid verwundbar, meine Schwester, viel verwundbarer als wir anderen.«
Quenthel beugte sich vor und brachte sogar ein Lächeln zustande. »Würdet Ihr denn bezweifeln, daß Lloth zu uns zurückkehren wird, was sie tun wird, wie wir beide wissen?« zischte die jüngere. »Und was mag es gewesen sein, das die Spinnenkönigin dazu gebracht hat, uns zu verlassen?« Während sie diese letzte Frage stellte, fiel ihr Blick herausfordernder auf ihre Mutter, als es jemals jemand gewagt hatte, die Oberin Baenre anzusehen.
»Nicht das, was Ihr annehmt!« fuhr Triel sie an. Sie hatte erwartet, daß Quenthel versuchen würde, Oberin Baenre die Schuld zu geben. Die Absetzung der Mutter Oberin hätte der ehrgeizigen Quenthel nur nützen und dem schnell
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