Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
in den Reichen, vermute ich.«
Feringal stieß einen langen, tiefen Seufzer aus, während Temigast weitschweifig fortfuhr. »Ich liebe sie«, betonte er erneut. »Könnt ihr das nicht verstehen?«
»Du kennst sie nicht einmal«, wagte Priscilla einzuwerfen. »Sie sticht zweifellos mit schmutzigen Fingern Torf.«
Feringal machte einen drohenden Schritt auf sie zu, aber Temigast bewegte sich gewandt und für sein Alter schnell zwischen die beiden, um den jungen Mann sanft auf einen Stuhl zu drängen. »Ich glaube dir, Feringal. Du liebst sie und wünschst, sie zu retten.« Das überraschte Feringal. »Retten?«, wiederholte er.
»Natürlich«, argumentierte Temigast. »Du bist der Lord, der Herrscher von Auckney, und du allein hast die Macht, dieses Bauernmädchen aus seiner jämmerlichen Stellung zu erlösen.« Feringal verharrte noch einen Moment in seiner verblüfften Haltung, dann sagte er mit eifrigem Kopfnicken: »Ja, ja.«
»Ich habe das schon früher gesehen«, sagte Temigast kopfschüttelnd. »Es ist eine verbreitete Krankheit unter jungen Lords, dieses Bedürfnis, ein Bauernmädchen oder Ähnliches zu retten. Es wird vorübergehen, Lord Feringal, und du kannst versichert sein, dass du dich solange mit dem Mädchen verlustieren kannst, wie du möchtest.«
»Du würdigst meine Gefühle herab«, beschuldigte ihn Feringal.
»Ich sage nur die Wahrheit«, erwiderte Temigast rasch.
»Nein!«, entgegnete Feringal. »Was weißt du denn schon von meinen Gefühlen, alter Mann? Du kannst niemals eine Frau geliebt haben, wenn du so etwas vorschlägst. Du kannst nicht wissen, was in mir brennt.«
Diese Behauptung schien einen Nerv bei dem alten Verwalter getroffen zu haben. Was auch der Grund sein mochte, Temigast verstummte, und seine Lippen wurden dünn wie Striche. Er ging zu seinem Stuhl zurück und starrte Feringal mit leerem Blick an. Der junge Lord, dessen Lebensgeister höher loderten als je zuvor, wollte sich diesem Ehrfurcht gebietenden Blick nicht unterordnen. »Ich werde sie nicht zu meiner Mätresse machen«, verkündete er entschlossen. »Niemals. Sie ist die Frau, die ich auf ewig lieben werde, die Frau, die ich zum Weibe nehmen werde, die Herrin von Burg Auck.« »Feri«, kreischte Priscilla.
Der junge Lord, der entschlossen war, nicht wie üblich den Forderungen seiner herrischen Schwester nachzugeben, drehte sich um und stürmte davon, zurück in die Zuflucht seines Zimmers. Er achtete darauf, nicht zu rennen, wie er es gewöhnlich nach Streitereien mit seiner zänkischen Schwester tat. Stattdessen zeigte er ein wenig Würde, eine bestimmte und königliche Haltung. Er war sich bewusst, dass er jetzt ein Mann war.
»Er ist verrückt geworden«, sagte Priscilla zu Temigast, als sie hörten, dass sich Feringals Tür schloss. »Er hat dieses Mädchen nur einmal von weitem gesehen.«
Falls Temigast sie gehört hatte, gab er es jedenfalls nicht zu erkennen. Hartnäckig glitt Priscilla von ihrem Sofa auf die Knie hinab und rutschte zu dem sitzenden Mann hinüber. »Er hat sie nur einmal gesehen«, sagte sie erneut und erzwang so Temigasts Aufmerksamkeit.
»Mehr ist manchmal nicht nötig«, erwiderte der Verwalter ruhig.
Priscilla verstummte und musterte intensiv den alten Mann, dessen Bett sie im Geheimen geteilt hatte, seit sie zur Frau geworden war. Trotz all ihrer körperlichen Intimitäten hatte Temigast ihr jedoch nie sein inneres Selbst geöffnet, mit Ausnahme eines einzigen kurzen Moments, als er von seinem Leben in Tiefwasser gesprochen hatte, bevor er nach Auckney gekommen war. Er hatte das Gespräch schnell abgebrochen, doch erst, nachdem er den Namen einer Frau erwähnt hatte. Priscilla hatte sich immer gefragt, ob diese Frau Temigast mehr bedeutet hatte, als er zu erkennen gab. Sie erkannte, dass er sich jetzt im Bann einer Erinnerung befand, die durch die Erklärungen von unsterblicher Liebe, die ihr Bruder ausgestoßen hatte, wieder in sein Gedächtnis gerückt worden war.
Priscilla wandte sich von ihm ab und wurde von eifersüchtigem Zorn überflutet. Sie ließ ihn jedoch, wie immer, rasch verebben, indem sie sich an ihr Los erinnerte und an die Freuden, die ihr Leben ihr bot. Temigasts eigene Vergangenheit mochte ihm Feringals Eskapaden in einem nachsichtigeren Licht erscheinen lassen, doch Priscilla war nicht bereit, die impulsive Entscheidung ihres Bruders zu akzeptieren. Die Verhältnisse auf Burg Auck kamen ihr seit vielen Jahren gut zupass, und das Letzte, was sie wollte, war,
Weitere Kostenlose Bücher