Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
berührt, die sich durch das unerwartete Auftauchen von Wulfgars altem Bekannten Deudermont wieder geöffnet hatte. Es war der klassische Kampf zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Morik hatte schon oft gesehen, wie Männer davon zerrissen wurden, während sie immer weiter auf den Grund ihrer Flaschen sanken. Die Gefühle, die der Anblick des Kapitäns in ihm auslöste, des Mannes, mit dem er einst gesegelt war, waren zu heftig für Wulfgar. Der Barbar konnte seinen jetzigen Zustand nicht mit dem in Einklang bringen, was er einmal gewesen war. Morik ließ es lächelnd dabei bewenden. Er erkannte deutlich, dass der Kampf der Gefühle, der Streit zwischen Vergangenheit und Gegenwart, im Inneren seines großen Freundes noch lange nicht vorüber war.
Vielleicht würde die Gegenwart gewinnen, und Wulfgar würde dann auf den Profit versprechenden Vorschlag Moriks bezüglich Deudermont hören. Falls nicht, würde Morik möglicherweise auf eigene Faust handeln und Wulfgars Bekanntschaft mit dem Mann ohne das Wissen des Barbaren zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Morik vergab Wulfgar den Angriff auf seine Person. Dieses Mal…
»Würdest du denn gerne wieder mit ihm segeln?«, fragte Morik mit bewusst gelösterem Tonfall.
Wulfgar ließ sich auf sein Hinterteil fallen und starrte den Ganoven mit verschwommenem Blick ungläubig an.
»Wir müssen sehen, wie wir unsere Börsen füllen«, erinnerte ihn Morik. »Arumn und das ›Entermesser‹ scheinen dich allmählich zu langweilen. Vielleicht wären ein paar Monate auf See …«
Wulfgar brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, drehte sich um und spuckte ins Meer. Einen Moment später beugte er sich über den Rand des Piers und übergab sich.
Morik schaute ihm mit einer Mischung aus Mitleid, Ekel und Ärger zu. Ja, entschloss sich der Ganove in diesem Augenblick, er würde sich um Deudermont kümmern, ob Wulfgar auf seinen Plan einging oder nicht. Morik würde seinen Freund dazu benutzen, eine Schwäche bei dem berüchtigten Kapitän der Seekobold zu finden. Ein Stich des Schuldbewusstseins traf den Gauner, als er erkannte, dass Wulfgar wirklich sein Freund war, aber das hier war die Straße, und ein kluger Mann würde eine so offensichtliche Gelegenheit, sich eine goldene Nase zu verdienen, nicht verstreichen lassen.
»Klaust du, Morik hinkriecht?«, war das Erste, was der tätowierte Pirat Tee-a-nicknick fragte, als er in einer Gasse erwachte.
Neben ihm, inmitten des Mülls, schaute Grauser Raffer verwirrt zu ihm hinüber, bis er die Worte entzifferte. »Glaubst, mein Freund, nicht klaust«, verbesserte er. »Klaust du, er hinkriecht?«
Grauser schnaubte, schaute, auf die Ellenbogen gestützt, weg und ließ seinen einäugigen Blick die schmierige Gasse entlang gleiten. Da anscheinend keine Antwort kommen würde, schlug Tee-a nicknick seinem Gossengenossen hart auf den Hinterkopf.
»Was soll denn das?«, beschwerte sich der Pirat und versuchte sich umzudrehen. Er fiel jedoch stattdessen mit der Nase voran in den Dreck und rollte sich langsam auf den Rücken, bis er seinen exotischen, halbqullanischen Gefährten böse anfunkeln konnte. »Morik es tut?«, fragte Tee-a-nicknick. »Deudermont abmurksen?«
Grauser hustete einen Schleimbrocken aus und begab sich unter großer Mühe in eine sitzende Position. »Pah«, schnaubte er. »Klar, Morik ist ein gewitzter Bursche, aber bei Deudermont spielt er nicht in seiner Klasse. Es ist wahrscheinlicher, dass der Kapitän ihn fertig macht.«
»Zehntausend«, jammerte Tee-a-nicknick, denn er und Grauser hatten von den verschiedenen Piraten, denen sie von dem Vorhaben berichtet hatten, Versprechen von insgesamt fast zehntausend Goldstücken für den Fall erhalten, das Deudermont ermordet wurde, bevor die Seekobold Luskan verließ.
Die beiden hatten bereits beschlossen, dass sie Morik siebentausend davon geben würden, falls er seine Aufgabe erledigte, während sie dreitausend selbst behalten wollten. »Ich denke, dass Morik den Kapitän vielleicht ganz gut aus der Reserve locken kann«, fuhr Grauser fort. »Möglicherweise spielt die kleine Ratte eine Rolle, ohne zu wissen, dass sie es tut. Falls Deudermont diesen Freund von Morik mag, lässt seine Wachsamkeit vielleicht ein wenig zu sehr nach.« »Du klaust, wir tun es?«, fragte Tee-a-nicknick eifrig.
Grauser musterte seinen Freund. Er kicherte über den beständigen Kampf, den der Halb-Qullaner noch immer mit der Sprache austrug, obgleich Tee-a-nicknick den Großteil
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