Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
erwiderte die junge Frau, »und er kennt mich nicht. Nicht im Geringsten!«
»Aber er will es«, sagte Dohni. »Du solltest das als großes Kompliment auffassen.«
»Und bedeutet ein Kompliment anzunehmen auch, demjenigen nachzugeben, der es gemacht hat?«, fragte Meralda mit bitterem Sarkasmus. »Habe ich keine Wahl in dieser Angelegenheit? Lord Feringal will dich, also los, lauf zu ihm?«
Ihr nervöses Plätschern mit dem Wasser wurde heftiger, und versehentlich schwappte eine kleine Welle auf Dohni Ganderlay. Die junge Frau erkannte, dass es nicht die Nässe, sondern ihre Haltung war, die seine unerwartet gewalttätige Reaktion hervorrief. Er packte grob ihr Handgelenk, riss es zurück und zog Meralda so in seine Richtung.
»Nein«, antwortete er hart. »Du hast keine Wahl. Feringal ist der Lord von Auckney, ein Mann mit beträchtlichen Mitteln, ein Mann, der uns aus dem Dreck holen kann.«
»Vielleicht bin ich lieber dreckig«, setzte Meralda an, aber Dohni Ganderlay schnitt ihr das Wort ab. »Ein Mann, der deine Mutter heilen kann.«
Er hätte sie nicht härter treffen können, wenn er sie statt mit diesen Worten mit seiner mächtigen Faust ins Gesicht geschlagen hätte. Sie starrte ihren Vater ungläubig an, sah den verzweifelten Ausdruck auf seinem sonst so gleichmütigen Gesicht, und sie bekam Angst, wirkliche Angst.
»Du hast keine Wahl«, wiederholte er mit mühsam ruhiger Stimme. »Deine Mutter hat das Welken und wird den nächsten Frühling wahrscheinlich nicht mehr erleben. Du wirst zu Lord Feringal gehen und die Rolle einer Dame spielen. Du wirst über seine Scherze lachen und seine Großartigkeit rühmen. Dies wirst du für deine Mutter tun«, endete er und klang matt und resigniert. Als er sich abwandte und aufstand, sah Meralda kurz ein feuchtes Glitzern in seinen Augen, und sie verstand.
Das Wissen, wie schlimm dies für ihren Vater war, half der jungen Frau, sich auf den Abend vorzubereiten, es half ihr sehr, sich der anscheinend so grausamen Prüfung zu stellen, die das Schicksal ihr auferlegt hatte.
Die Sonne war untergegangen, und der Himmel nahm ein tiefes Dunkelblau an. Die Kutsche hielt vor Meraldas ärmlichem Haus. Sie trat aus der Tür, und selbst aus dieser großen Entfernung konnte Jaka erkennen, wie schön sie aussah, wie ein glänzendes Juwel, das die Dunkelheit der Dämmerung verhöhnte.
Sein Juwel. Die gerechte Belohnung für die Schönheit, die in ihm ruhte, nicht ein gekauftes Geschenk für den verzogenen Lord von Auckney.
Er stellte sich vor, wie Lord Feringal seine Hand aus der Kutsche streckte und sie berührte, sie streichelte, während sie zu ihm hineinstieg. Beim Ausmalen dieses Bildes wollte er am liebsten laut über die Ungerechtigkeit des Ganzen schreien. Die Kutsche fuhr die Straße zur fernen Burg zurück, und Meralda befand sich darin, genau wie er es sich vorgestellt hatte. Jaka hätte sich nicht beraubter fühlen können, wenn Lord Feringal ihm in die Taschen gegriffen und seine letzte Münze weggenommen hätte.
Er saß eine lange Zeit auf dem torfbedeckten Hügel und haderte mit dem Schicksal, fuhr sich wieder und wieder und wieder mit den Händen durch die Haare und verfluchte die Ungerechtigkeiten seines erbärmlichen Lebens. Er war so in sein Elend versunken, dass der plötzliche Klang einer Mädchenstimme ihn völlig überraschte. »Ich wusste, dass du irgendwo hier sein würdest.«
Jaka öffnete seine feuchten Augen und sah Tori Ganderlay vor sich stehen.
»Ich wusste es«, neckte das Mädchen. »Was weißt du?«
»Du hast von der Verabredung meiner Schwester gehört und musstest es mit eigenen Augen sehen«, erklärte Tori. »Und du wartest noch immer und hältst Ausschau.«
»Deine Schwester?«, wiederholte Jaka dumpf. »Ich komme jeden Abend hierher.«
Tori drehte sich von ihm weg, um zu den Häusern hinunterzuschauen, zu ihrem eigenen Haus, bei dem der Feuerschein hell durch das Fenster drang. »Weil du hoffst, Meralda nackt durch das Fenster zu sehen?«, fragte sie kichernd.
»Ich gehe alleine in die Dunkelheit hinaus, um von den Feuern und dem Licht wegzukommen«, erwiderte Jaka mit fester Stimme. »Um von lästigen Leuten wegzukommen, die nichts verstehen.« »Was verstehen?«
»Die Wahrheit«, antwortete der junge Mann geheimnisvoll und hoffte, dass dies eindrucksvoll klang. »Die Wahrheit worüber?« »Die Wahrheit des Lebens«, erwiderte Jaka.
Tori sah ihn lange und intensiv an, und ihr Gesicht verzog sich bei dem Versuch, seine
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