Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
die Nase über sie rümpfte, war auch nicht gerade eine große Hilfe.
»Es ist vielleicht das Benehmen eines Menschen, der mit diesem starken Getränk nicht vertraut ist«, stand Temigast ihr bei. »Nur winzige Schlucke, meine Liebe. Du wirst es lernen, auch wenn du vielleicht niemals wirklich Geschmack an diesem speziellen Branntwein finden wirst. Ich habe dies jedenfalls auch noch nicht.«
Meralda lächelte und dankte mit einem schweigenden Nicken dem alten Mann, der die Spannung erneut, und nicht zum letzten Mal, gelöst hatte. Das Mädchen fühlte sich auf angenehme Weise ein bisschen benommen und blendete sich aus der Unterhaltung aus. Sie war sich der spitzen Bemerkungen von Priscilla und der unablässigen Blicke von Lord Feringal kaum noch bewusst, sondern ihre Gedanken schweiften davon. Sie befand sich an Jaka Sculis Seite – vielleicht auf einem vom Mondlicht durchfluteten Feld oder auch in diesem Raum hier. Wie wundervoll dieses Gemach mit seinem dicken Teppich, dem riesigen Feuer und dem wärmenden Kognak doch wäre, wenn sie sich in der der Gesellschaft ihres lieben Jaka befände, statt in der der unangenehmen Auck-Geschwister.
Temigasts Stimme durchdrang den Nebel, der sich um ihren Verstand gelegt hatte, und erinnerte Lord Feringal daran, dass sie versprochen hatten, die junge Dame zu einer gewissen Uhrzeit zurückzubringen, und dass diese Stunde sich rasch näherte.
»Dann nur noch ein paar Minuten alleine mit mir«, erwiderte Feringal. Meralda bemühte sich, nicht in Panik auszubrechen.
»Keine sehr ziemliche Forderung«, warf Priscilla ein. Sie schaute Meralda an und schmunzelte gehässig. »Andererseits, was kann es schon für Schaden anrichten?«
Feringals Schwester verließ das Zimmer, ebenso wie Temigast, der Meralda noch beruhigend auf die Schulter klopfte, bevor er zur Tür ging.
»Ich vertraue darauf, dass du dich wie ein Ehrenmann benehmen wirst, mein Lord«, sagte er zu Feringal, »so, wie es dein Stand gebietet. Es gibt nur sehr wenige Frauen, die so schön sind wie Fräulein Meralda.« Er lächelte der jungen Frau zu. »Ich werde die Kutsche am Haupteingang vorfahren lassen.«
Der alte Mann war ihr Verbündeter, erkannte Meralda, und zwar ein hochwillkommener Verbündeter.
»Es war ein wunderbares Essen, nicht wahr?«, fragte Lord Feringal und setzte sich rasch in den Sessel neben dem von Meralda. »O ja, mein Lord«, erwiderte sie und senkte den Blick.
»Nein, nein«, rügte Feringal. »Du musst mich Lord Feringal nennen, nicht ›mein Lord‹.«
»Ja, mein – Lord Feringal.« Meralda versuchte, ihren Blick abgewendet zu halten, doch der Mann war zu nah, zu Respekt einflößend. Sie schaute zu ihm hoch, und man musste es ihm zugute halten, dass er seinen Blick von ihren Brüsten löste und ihr in die Augen sah.
»Ich habe dich auf der Straße gesehen«, erklärte er. »Ich musste dich kennen lernen. Ich musste dich wiedersehen. Es gab niemals eine Frau, die so schön war.«
»Oh, mein – Lord Feringal«, sagte sie und schaute diesmal nicht weg, denn er rückte noch näher, viel zu nahe für Meraldas Gefühl. »Ich musste dich sehen«, sagte er noch einmal, und seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern. Doch er war jetzt so nahe, dass Meralda ihn deutlich verstehen konnte und seinen heißen Atem an ihrem Ohr spürte.
Meralda kämpfte heftig darum, ihre Panik zu unterdrücken, als Feringals Handrücken ihr sanft über die Wange strich. Dann erfasste er ihr Kinn und drehte ihr Gesicht in seine Richtung. Er küsste sie erst sanft, dann, obgleich sie kaum auf die Liebkosung reagierte, drängender und erhob sich dazu sogar aus seinem Sessel, um sich über sie zu beugen. Während er sich an sie drängte und sie küsste, dachte Meralda an Jaka und an ihre kranke Mutter und nahm es hin, sogar als seine Hand sich über den weichen Stoff legte, der ihren Busen bedeckte.
»Ich bitte um Verzeihung, Lord Feringal«, erklang Temigasts Stimme aus Richtung der Tür. Errötend ließ der junge Mann von ihr ab und richtete sich auf, um den Verwalter anzusehen.
»Die Kutsche wartet«, erklärte Temigast. »Es ist an der Zeit für Fräulein Meralda, nach Hause zurückzukehren.« Meralda rannte fast, als sie den Raum verließ.
»Ich werde wieder nach dir schicken«, sagte Feringal hinter ihr her. »Und schon bald, das versichere ich dir.«
Zu dem Zeitpunkt, als die Kutsche über die Brücke holperte, die Burg Auck mit dem Festland verband, war es Meralda gelungen, ihr heftig pochendes Herz
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